Glanzvolles Arienkonzert von Edita Gruberova zu Eröffnung der Landesgartenschau
Wahnsinn in und vor der Liebe
Hochkarätiger, qualitätvoller und glänzend-prominenter konnte der kulturelle Auftakt der Landesgartenschau nicht sein, die halbe Rosenheimer Stadtregierung saß im Saal, die Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer selbst überreichte die Blumen, die ihr Peter Lutz, Geschäftsführer des Kultur- und Kongresszentrums, gab: Zu Gast war Edita Gruberova, die "Primadonna assoluta" , Königin der Spitzentöne und Diva, das heißt Göttin, des Belcanto, anfangs in beige-, später in schwarzglitzernder Robe. Der Saal war seit langem ausverkauft, das Publikum war von den ersten Tönen an aus dem Häuschen und überschüttete die Sängerin mit Bravo-Rufen und Applaussalven. Es war das Kulturereignis der Saison.
Edita Gruberova gab ein Konzert mit lauter "Wahnsinnsszenen", so der Programmtitel. Wahnsinnsszenen aus der Belcanto-Ära der Oper, aus Opern von Donizetti und Bellini sowie aus "La Traviata" von Verdi und "Hamlet" von Ambroise Thomas. Warum Wahnsinn? Diese Frauen werden wahnsinnig, weil sie ihre wahre Liebe nicht leben dürfen. Wahnsinn als Ausflucht, als Flucht, aber auch als Überlebensmöglichkeit. Anstatt sich umzubringen, singen sie. Singen also als höchstgesteigerte Form des Lebens, das man anders nicht leben darf. Aber auch: Wenn man so singt, gerät man fast zwangsläufig in Raserei, in Wahnsinn.
Merkwürdigerweise steht Edita Gruberova nicht im "Kesting". Was Jürgen Kesting in "Die großen Sänger des 20. Jahrhunderts" aber über die Gesangskunst von Maria Callas schreibt, über die Kunst des Belcanto-Singens, trifft auf Edita Gruberova genau zu: "Der musikalische Sinn kann nur erfasst werden durch die Illuminierung des Textes, der Wörter und selbst der einzelnen Silben." Illuminierung, das heißt hier Beleuchtung, Einfärbung, Einbettung. Und weiter, auf Edita Gruberova gemünzt: Sie "verweilt, wie es nur ein großer Rhetor vermag, auf jedem Moment des Affekts und ergibt sich niemals dem Effekt, erfasst mit reinen musikalischen Mitteln - der Vokalfärbung und der Rubato-Nuancierung - den inneren Sinn einer Phrase und die expressive Bedeutung eines jeden Worts." So ist's: Edita Gruberova vermag selbst einem einzelnen Buchstaben wie dem "s" in "sparsa è di rose?" (Siehst du die Rose?) einen so scharf-bedeutsamen Klang zu geben, dass man den exaltierten Zustand der Lucia di Lammermoor schön hört, bevor der Vokalton beginnt. Wenn einer dieser Vokaltöne dann leise anhebt, anschwillt, sich aufschwingt und resignativ wieder hinabsinkt, wenn einer dieser Vokaltöne sich ins herzzerreißende Fortissimo rettet, und wenn man als Rezensent noch genau in der Richtung dieses Tonstroms sitzt, dann, ja dann klingen einem die Ohren, weil man sich als Echoraum dieser leuchtkräftigen, stahlhart und doch agil-biegsamen und weitflutenden Stimme verwandelt fühlt und fast ins Taumeln gerät ob dieser Ton- und vor allem Emotionsgewalt. Man hört und fühlt mit und überlässt sich willig-willenlos dieser Urgewalt, einer Urgewalt, die aber technisch höchst präzise gesteuert ist, aber so präzise, dass man die Präzision vergisst. Und wenn dann diese halb wahnsinnige Lucia sich singend so verliert, dass sie ihr eigenes Echo in Form der Flöte hört, sich also in sich selbst, in den unheimlich weiten Raum der Liebesgefühle verliert, sich ganz allein im Weltenraum fühlt: Dann ist man in der Gefahr sich auch dahin verlieren zu wollen, der Welt abhanden zu kommen. Da kann man als Zuhörer sich nur noch in Applausraserei entäußern.
Nicht Wahnsinn, sondern Angst vor dem Liebes-Wahnsinn dominiert in der Arie der Violetta "È strano!" aus der "Traviata". Diese Arie, die schon über die Belcanto-Zeit hinaus ist, sang die Gruberova mit einer wissend-weisen Stimme als eine Frau, die weiß, was kommen könnte, wenn sie sich in den jungen Alfredo verliebt. So klangen die sicher erreichten Spitzentöne fast verzweifelt-trotzig, wenn sie auf ihrem weiteren Kurtisanenleben bestehen will, obwohl sie nun wahrhaft liebt.
Das Begleitorchester in einem solchen Arienabend hat`s oft schwer, weil man nicht darauf achtet. Die Münchner Symphoniker präsentierten sich selbstbewusst eigenständig, glänzten mit der selten gespielten Ouvertüre zu "Un giorno di regno" von Verdi und mit glühender Intensität im Vorspiel zur "Traviata".
Endlosen Beifall und Blumen- und Geschenküberreichungen von zahlreichen Zuhörern quittierte Frau Gruberova mit zwei Zugaben, einer Arie aus Donizettis "Linda di Chamounix" und vor allem mit dem Couplet der Adele aus der "Fledermaus", die sie so ausgelassen-kokett, so unschuldig-raffinös und mit so lustig-anmutiger Gestik gab, dass alle Zuhörer mit einem seligen Lächeln auf den Lippen den Saal verließen, wissend: Sie durften in Rosenheim einen wahren Weltstar hören.