„InselKonzerte“
Schubert-Konzert auf Herrenchiemsee: Reinste Poesie im Klang
Star-Bariton Thomas Hampson aus den USA und Koreas Klavier-Poet William Youn interpretieren im Rahmen der „InselKonzerte“ Schuberts „Winterreise“ und schaffen gemeinsam neue Deutungsmöglichkeiten.
Von: Marco Frei
Herrenchiemsee – Für den Bariton Christian Gerhaher aus Niederbayern sind die Liederzyklen von Franz Schubert keine „Minidramen“. Als lyrische Kammermusik seien sie in der Regel abstrakt und würden in diesem Sinne verschiedene Aspekte zum Leben bringen.
Sein nicht minder berühmter Kollege Thomas Hampson aus den USA sieht das etwas anders. Die „Winterreise“ kündet für ihn von persönlichem Leiden – den Lebens-Dramen eines jungen Mannes. Das sagte er im Gespräch mit Wolf-Dieter Seiffert vom Freundeskreis der „InselKonzerte“.
Vokalist setzt auf Drama und Emotionen
Im Rahmen dieser Reihe hatte Hampson zuvor im Augustiner-Chorherrenstift auf der Herreninsel Auszüge aus der „Winterreise“ gegeben: mit William Youn am Klavier, dem Co-Leiter der „InselKonzerte“.
In seinem Vokalpart setzte Hampson ganz auf wirkungsvolle Dramatik und emotionale Durchdringung. An manchen Stellen, etwa in Liedern wie „Frühlingstraum“, „Im Dorfe“ oder „Der Wegweiser“, war fast schon der Opernsänger Hampson präsent.
Die Palette der Gefühle reichte von Sarkasmus über Wut und Weltschmerz bis hin zu sehnsuchtsvoller Melancholie und resignativer Weltentrücktheit. Der Ahnung des Todes selbst machte sich im Gesang eher rar. Tatsächlich ist für Hampson selbst das finale Lied „Der Laiermann“ keine Metapher für den Sensenmann. Dieser „Leiermann“ markiere vielmehr den Endpunkt des Reifeprozesses, den ein junger Mann in der „Winterreise“ durchlebe.
Youns Flexibilität begeistert
Diese Reifeprüfung werde von drei Ausübenden gestaltet: der linken und rechten Hand des Pianisten sowie vom Sänger. Zum bleibenden Ereignis wurden dabei die Ausgestaltungen von Youn am Klavier. Das lag weniger daran, dass Hampson beim Konzert krankheitsbedingt angeschlagen war. Vielmehr hat es Youn geschafft, im Klavierpart eine schier endlose, überreiche „Be-Deutungsfülle“ herauszustellen. Das gelang ihm dank einer größtmöglichen Flexibilität in der Klanggestaltung.
Da ist das Lied „Auf dem Flusse“: Hier wechselte Youn in Sekundenschnelle zwischen gestochen klarer Artikulation ganz ohne Pedal und feinem Legato. Jedes einzelne Wort wurde in einen ureigenen Klang getaucht. Wahrlich ein Großereignis.
Damit machte Youn gleichzeitig hörbar, wie sehr Schubert im Klavierpart der „Winterreise“ die zentralen Entwicklungen in seinen Klaviersonaten zu einem kohärenten Ganzen zusammenfasst.
Umso sinnstiftender Youns Gestaltung des Sonaten-Fragments in fis-Moll D 571 von 1817 als Auftakt: Die Stimmung passt perfekt zur zehn Jahre später vollendeten „Winterreise“. Beim CD-Label „Sony“ wächst gerade Youns Gesamtaufnahme der Klaviersonaten Schuberts heran. Als dritter Teil erscheint nächste Woche eine Dreier-Box.
Klavierkunst macht das Werk erst rund
Die „Winterreise“ hat Youn erst im Sommer erstmals aufgeführt: im Rahmen der „Schubertiade“ in Österreich, mit dem Tenor Pavol Breslik. Mit Hampson hatte Youn jetzt zum ersten Mal überhaupt konzertiert.
Youn muss zu den ganz großen Schubert-Exegeten der Gegenwart gerechnet werden. Wer die „InselKonzerte“ regelmäßig besucht, weiß das schon seit vielen Jahren – lange bevor Youns erste Schubert-CD bei Sony erschienen ist.
Seine Ausgestaltung des Klavierparts in der „Winterreise“ hat dieses Bild jetzt nicht nur bekräftigt und abgerundet. Vielmehr wünscht man sich weitere Lied-Gestaltungen mit Youn. Er begleitet nicht einfach, sondern lässt wortlose Deutungen erwachsen: vielschichtig, farbenreich, atmosphärisch dicht. Bis zum Mai pausieren die „InselKonzerte“.