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Wenn‘s klemmt, wird‘s spannend: Wie ein „alter Sachse“ Kolbermoor zum Klingen bringt

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Von: Johannes Thomae

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Live-Abenteuer und DIY-Reparatur beim ersten Konzert des Blüthner-Flügels im Kolbermoorer Rathaus: (von links) Vhs-Chefin Ulrike Sinzinger, Musikschulleiter Günther Obermeier, ein Konzertbesucher und der Pianist.
Live-Abenteuer und DIY-Reparatur beim ersten Konzert des Blüthner-Flügels im Kolbermoorer Rathaus: (von links) Vhs-Chefin Ulrike Sinzinger, Musikschulleiter Günther Obermeier, ein Konzertbesucher und der Pianist. © THOMAE

Ein alter Sachse bringt das Rathaus zum Klingen. Wie der 116-jährige Leipziger für sein erstes Konzert in Kolbermoor hergerichtet wurde, warum er trotzdem stolperte und die Besucher ein musikalisches und handwerkliches Abenteuer erlebten.

Kolbermoor – Man kennt es: Personen, die einem nahestehen, mag man oft gerade wegen ihrer kleinen Ticks und Macken. Bei Dingen ist es ähnlich. Solange etwas neu ist, ist es schön, mehr nicht. Ans Herz wächst es einem erst, wenn man ihm sein Alter und die Jahre des Gebrauchs ansieht: dann bekommt es so etwas wie eine eigene Persönlichkeit.

Geschenk einer Kolbermoorer Familie

Von daher hat der neue, alte Blüthner-Flügel der Stadt – ein Instrument, das 1907 in Leipzig gebaut wurde – das Zeug, zu einem Liebling aller zu werden. Zwar wurde das Geschenk einer Kolbermoorer Familie erst kürzlich durch einen Fachmann penibel und mit größter Sorgfalt überholt und neu gestimmt. Dennoch: Beim Einweihungskonzert musste Pianist Jürgen Plich mitten im Spiel feststellen, dass unvermittelt die Mechanik der Pedale klemmte: „So etwas habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nicht erlebt“, meinte er, und nahm auch gleich Sebastian Hollunder in Schutz, der den Flügel überholt hatte: „Darauf, dass an dieser Stelle etwas nicht stimmen könnte, kommt man nicht, vor allem wenn es beim Probespielen vor den Arbeiten einwandfrei funktionierte.“

Klavierstimmer Sebastian Hollunder reinigte und stimmte den Blüthner-Flügel vor dem Konzert sorgsam.
Klavierstimmer Sebastian Hollunder reinigte und stimmte den Blüthner-Flügel vor dem Konzert sorgsam. © johannes thomae

DIY-Hilfe, denn selbst ist der Pianist

Das Publikum des Einweihungskonzertes war durch den kleinen Zwischenfall keinesfalls irritiert, sah die Unterbrechung mit den Do-it-yourself-Reparaturmaßnahmen von Jürgen Plich eher als „Live-Abenteuer“, dem man beiwohnen durfte, zumal die Aktion von Erfolg gekrönt war: Die Pedale konnten wieder ordnungsgemäß bedient werden – zumindest, solange der Pianist sie vorsichtig und mit Gefühl trat. Jürgen Plich behielt die Nerven, meinte scherzhaft ins Publikum „Wir bleiben ruhig und guter Laune“ und konnte den Vorfall so noch gewinnbringend ausnützen.

Plichs Konzerte sind ja keine gewöhnlichen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass er seinen Konzertgästen vorab erklärt, was sie gleich hören werden. „Man darf heute nicht mehr davon ausgehen, dass alle Besucher in der klassischen Musik voll und ganz zu Hause sind. Das vorauszusetzen, wäre einfach arrogant“, erklärte er.

Bei den Mozart-Sonaten, die am Premieren-Abend des Blüthner-Fügels im Kolbermoorer Rathaus zu hören waren, erzählte er zunächst, wann und vor allem warum diese entstanden sind: Es war der ganz junge Mozart, der im Alter zwischen 16 und 20 hier Musik schrieb, die damals teilweise auch für „Wettbewerbszwecke“ verwendet wurde. Konzerte also, bei denen verschiedene Pianisten gegeneinander antraten. Und man erfuhr an konkreten Beispielen aus den Sonaten auch, dass schon der ganz junge Mozart den „Blick“ des Opernkomponisten hatte, auch in seinen Klavierkonzerten in Bildern und Szenen dachte, die er zum Klingen brachte.

Mit viel Gefühl, dem Wissen um die empfindsame Mechanik der Pedale und interessanten Erläuterungen für die Konzertbesucher brachte Pianist Jürgen Plich Mozart-Sonaten zu Gehör.
Mit viel Gefühl, dem Wissen um die empfindsame Mechanik der Pedale und interessanten Erläuterungen für die Konzertbesucher brachte Pianist Jürgen Plich Mozart-Sonaten zu Gehör. © Thomae

Plich wusste die klemmenden Pedale auszunützen, um sein Publikum über deren Verwendungszweck aufzuklären. Das rechte Pedal, so sagt er, sei das eigentlich wichtige, denn mit ihm würden die Dämpfer aller Seiten abgehoben. Dann klingen die angeschlagenen Töne länger nach, können dadurch leichter verbunden werden,. Der Flügel klingt insgesamt auch etwas wärmer und bekommt etwas mehr Volumen.

Bedient werde das Pedal nach Gefühl, so Plich weiter, denn ob und wann es benötigt wird, hängt nicht nur von den jeweiligen Passagen im gespielten Stück ab, sondern auch vom Flügel selbst und nicht zuletzt von der Akustik des Raums, in dem gespielt wird. Deshalb laute ein alter Pianistenspruch ja auch: „Das Pedal bedient man nicht mit den Füßen, sondern mit den Ohren.“

Für Ulrike Sinzinger, Leiterin der Volkshochschule, die die diesjährige Konzertreihe mit Jürgen Plich ausrichtet, brachte an diesem außergewöhnlichen Einweihungsabend noch einmal auf den Punkt, was den Flügel besonders macht: „Dass er ein Resultat gemeinschaftlicher Zuwendung ist.“

Gemeinschaftliche Zuwendungen

Da ist neben der Volkshochschule die Musikschule, die ihn geschenkt bekam, ihn in ihren eigenen Räumen aber noch nicht recht unterbringen kann. Da ist die Stadt, die in ihm eine Chance sah, ein Ziel weiterzuverfolgen, das man schon seit dem Rathausbau im Hinterkopf hatte, wie Peter Kloo an diesem Abend sagte: „Das Haus nicht nur zu einer bloßen Verwaltungsstätte zu machen, die nach Dienstschluss verwaist ist, sondern zu einem Ort der Begegnung, auch an den Abenden noch voller Leben.“ Deshalb steht der Flügel jetzt auch auf der Galerie vor dem Sitzungssaal. Weiter ist da schließlich noch Jürgen Plich, der alle Beteiligten davon überzeugen konnte, dass es dieses Instrument mit seinem weichen und warmen Klang wert wäre, durch eine gründliche Überholung wieder in einen konzertreifen Zustand versetzt zu werden.

Interessiert lassen sich (von links) Dieter Kannengießer und Peter Kloo die Reinigung der Klaviatur erklären.
Interessiert lassen sich (von links) Dieter Kannengießer und Peter Kloo die Reinigung der Klaviatur erklären. © Thomae

Das ist nicht irgendein Instrument

Der Flügel hat an diesem Abend gezeigt, dass er nicht irgendein Instrument ist, sondern ein 116 Jahre alter Leipziger, der eine eigene Persönlichkeit hat, und dem man die eine oder andere Macke, die vielleicht bisweilen auftreten könnte, sicher gern verzeihen wird.

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