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Gaspreise führen in Kolbermoor zu riesiger Nachfrage nach Fernwärme

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Von: Johannes Thomae

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Der Motor des Blockheizkraftwerkes hat eine Leistung von 600 kW Strom und 684 kW Wärme pro Stunde. Innergie-Geschäftsführer Heiko Peckmann arbeitet mit seinem Team am weiteren Ausbau des Fernwärmenetzes in der Stadt. Die Nachfrage ist inzwischen so groß geworden, dass das Unternehmen mit dem Ausbau nicht mehr hinterherkommt.
Der Motor des Blockheizkraftwerkes in Kolbermoor hat eine Leistung von 600 kW Strom und 684 kW Wärme pro Stunde. Innergie-Geschäftsführer Heiko Peckmann arbeitet mit seinem Team am weiteren Ausbau des Fernwärmenetzes in der Stadt. Die Nachfrage ist seit dem Ukrainekrieg enorm gestiegen. © Archiv / Gerlach

Mehr als 500 Haushalte werden in Kolbermoor mit Fernwärme versorgt. Seit dem Ukrainekrieg ist die Nachfrage enorm gestiegen. Jetzt informierte die INNergie GmbH über den aktuellen Ausbaustand und die Mitwirkung der Kunden.

Kolbermoor – Es ist fast schon eine Plattitüde: Der Krieg in der Ukraine hat auch in Deutschland viele Karten neu gemischt, gerade hinsichtlich der Energieversorgung. Vor etwa zwei Jahren wären zu einem Vortrag über den Ausbau des Kolbermoorer Fernwärmenetzes wohl nur eine Handvoll Leute gekommen. Jetzt aber war der Sitzungssaal des Rathauses voll, gut 80 Bürger waren einer Einladung des Vereins „Energieberatung Kolbermoor“ gefolgt, um sich von Heiko Peckmann, Geschäftsführer der INNergie GmbH , informieren zu lassen.

Und genau in diesem Wandel sozusagen über Nacht liegt auch Peckmanns Problem, denn: „Bis vor zwei Jahren stand es für alle, die im Energiesektor beschäftigt waren, völlig außer Frage, dass Erdgas sehr langfristig gedacht, zwar auch nur eine Zwischenlösung, aber für mindestens die nächsten 50 Jahre der Hauptenergieträger für die Wärmeerzeugung in Privathäusern sein wird.“

Die INNergie, so erläuterte Peckmann, habe sich sehr früh mit dem Aufbau von Fernwärmenetzen befasst. Schon seit 2014 sei man hier engagiert. Allerdings sei zu Beginn auch der Netzaufbau in Kolbermoor eher als Ergänzung zum Gasnetz gedacht gewesen. Eine Ergänzung, an der man kontinuierlich und mit durchaus viel finanziellem Einsatz arbeitete, um eine allmähliche Umstellung überall dort zu ermöglichen, wo es die Dichte der zu erwartenden Anschlüsse sinnvoll erscheinen ließ. Nicht aber als Sofortlösung. Dann kam der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, und binnen weniger Monate war nichts mehr wie vorher. Die Nachfrage nach Fernwärme stieg sprungartig.

Seit elf Jahren wird Wärmenetz in Kolbermoor ausgebaut

• Schon seit 2012 werden das Kolbermoorer Rathaus sowie das Wohn- und Geschäftshaus am Rathausplatz mit der Abwärme des Textilservice Stangelmayer GmbH beheizt.

• Am Glasberg existiert seit 2015 eine Quartiersversorgung, über die sechs Mehrfamilienhäuser und eine Kindereinrichtung mit Nahwärme versorgt werden.

• Im nächsten Schritt wurde ab 2017 ein Fernwärmenetz für die Neubauten an Mangfallring und die Mittelschule verlegt, welches zuerst über eine mobile Heizstation versorgt wurde, dann ab Januar 2020 über das neu errichtete Heizkraftwerk an der Turnhalle der Pauline-Thoma-Schule.

• Aktuelle Projekte sind die Conradty-, Gärtner- und Farrenpointstraße mit etwa 230 Wohneinheiten und einem Seniorenzentrum. Bisher scheitert eine Anbindung des Bereiches ans bestehende Heizkraftwerk an erforderlichen Genehmigungen zur Querung privater Grundstücke. Deshalb muss der Bereich vorerst über eine mobile Lösung versorgt werden.

• Perspektivisch besteht zudem die Option, am Standort Conradtystraße-Spinnereigelände ein weiteres Heizkraftwerk zu errichten.

• Die bis in die Innenstadt verlegten Fernwärmerohre haben ausreichend Kapazität für die Anbindung weiterer Abnehmer. Auf Grundlage eines Ratsbeschlusses hat sich auch die Stadt dazu bekannt, öffentliche Gebäude wie Feuerwache und Mareissaal anzuschließen. Vorher müssen diese aber energetisch saniert werden.

• Nach einer Statistik der INNergie wurden 45 neue Anschlüsse ans Fernwärmenetz im Jahr 2021 installiert, im Jahr 2022 waren es 72.

Eine Lösung für ganz Kolbermoor, das wurde in Peckmanns Vortrag deutlich, könne Fernwärme nicht sein, jetzt nicht und auch in Zukunft nicht. Der Aufwand für Planung und Bau ist von den Kosten her einfach immens, von den Schwierigkeiten, die mit der Trassenwahl verbunden sind, gar nicht zu reden. Zudem – und das ist ein Umstand, den auch Bürgermeister Peter Kloo immer wieder deutlich macht – sind an der INNergie acht Kommunen im Landkreis beteiligt. Hohe Investitionen schmälerten hier also nicht einfach einen Unternehmensgewinn, sondern gingen zu Lasten der Steuergelder aller Bürger. „Hunderttausende im Boden zu versenken, wenn damit nur ein paar einzelne Haushalte anzubinden sind, das ist nicht machbar“, so der Bürgermeister: „Nur wenn größere Anschlusszahlen möglich oder in nächster Zukunft erwartbar sind, ist die Investition vertretbar.“ 

Ans Fernwärmenetz der INNergie GmbH sind bisher mehr als 500 Haushalte, zwei Kindergärten und die Mittelschule angeschlossen. Die Energie wird im Heizkraftwerk nahe der Pauline-Thoma-Schule aus Erdgas erzeugt.
Ans Fernwärmenetz der INNergie GmbH sind bisher mehr als 500 Haushalte, zwei Kindergärten und die Mittelschule angeschlossen. Die Energie wird im Heizkraftwerk nahe der Pauline-Thoma-Schule aus Erdgas erzeugt. © INNergie

Ganz grundsätzlich beschwört der Bürgermeister die Kolbermoorer, in Sachen Energieversorgung nicht in kopflose Panik zu verfallen. „Es wird weder heute noch morgen einer vor der Tür stehen und die Entfernung der Gasheizung fordern.“  Eine Sichtweise, die auch Thomas Ertl und Rainer Tschichholz am Herzen liegt. Der Klimamanager der Stadt Kolbermoor und der erste Vorstand der Energieberatung Kolbermoor waren beide an dem Vortragsabend anwesend und betonten einhellig, dass Schnellschüsse bei der eventuellen energetischen Umrüstung eines Hauses fatal seien. Da sei zum Beispiel die grundsätzliche Frage, wie groß der Handlungsbedarf im Moment überhaupt sei. Eine noch gut funktionierende Bestandsheizung etwa nehme da bereits viel Zeitdruck. Zeit, die man einsetzen könne, um sich gründlich zu informieren: Etwa über die Frage, ob das Gebäude mit sinnvollem Aufwand energetisch zu optimieren ist und ob sich daraufhin möglicherweise Energiealternativen eröffnen – oder aber eben auch nicht.  

Alle, die vielleicht schon jetzt – oder aber auch später – feststellen wollen, ob und wann mit einer Fernwärmenetzanbindung an ihrem Standort zu rechnen sei, bat Heiko Peckmann um aktive Teilnahme. Bei der INNergie sei man – wie alle anderen Energieanbieter auch – hinsichtlich der Arbeitsbelastung derzeit an der Grenze, nicht nur um den Ausbau der Netze voranzutreiben, sondern auch um alle Gesetzesänderungen der letzten Zeit bezüglich der Gaskosten-Abrechnung umzusetzen. Der Vertrieb könne deshalb nicht von sich aus so auf die Bürger zugehen, wie es in normalen Zeiten üblich war. Jeder, der sich aber über die Homepage selbst an die INNergie wende, werde aber so schnell wie möglich über den aktuellen Stand informiert und auch darüber, ob und wann es bei seinem Haus Chancen auf eine Anbindung gäbe.

Kolbermoorer Fernwärme kommt bald mit dem Lkw aus Hornau

Die Energiekosten sind durch den Ukrainekrieg und Deutschlands Bemühen, sich von russischem Gas unabhängig zu machen, extrem angestiegen. Damit werden jetzt auch Projekte interessant, die bisher als viel zu teuer galten. Und so rückt auch die Wertschöpfung vor Ort wieder stärker in den Fokus und damit Abwärme, die bislang in Industrie und Gewerbe, bei der Müllverbrennung, an Kläranlagen (Faulgas), Biogasanlagen oder anderen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWKA) verpufft.

So sollen auch Kolbermoorer Wohnungen bald mit der Wärme aus dem Hornauer Biomasseheizkraftwerk (Marktgemeinde Bruckmühl) versorgt werden, die bislang noch nicht genutzt werden kann. Diese soll künftig in mobilen Latentwärmespeichern zum Heizwerk nach Kolbermoor transportiert und ins Fernwärmenetz eingespeist werden. In den nächsten Wochen geht der erste mobile Wärmecontainer an den Start.

Mit dem Einsatz mobiler Wärme kann Gas eingespart, aber nicht ersetzt werden. Pro Lieferung werden aus dem mobilen Wärmespeicher etwa 2200 kWh Wärme gewonnen, dadurch 200 Kubikmeter Erdgas eingespart und circa 800 Kilogramm CO2 vermieden. Mit dem Einsatz von zwei Wärmecontainern, die wechselnd be- und entladen werden, könnten in Kolbermoor also 400 Kubikmeter Gas pro Tag eingespart werden. Noch in diesem Jahr

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