Fahrdienstleiter ist wieder frei

Bad Aibling/Traunstein - Knapp zweieinhalb Jahre nach dem Zugunglück von Bad Aibling ist der Fahrdienstleiter der Deutschen Bahn, der die Katastrophe zu verantworten hat, vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden. Eine Nachricht, die viele Menschen in der Region bewegt und Erinnerungen an die unfassbare Tragödie vom 9. Februar 2016 weckt.

Fahrdienstleiter Michael P. ist bereits Anfang Juli wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Das bestätigte ein Sprecher der Rosenheimer Staatsanwaltschaft am Montag. Bisher hat der Bahnmitarbeiter etwa zwei Drittel seiner Strafe abgesessen. Das letzte Drittel der Haftstrafe wurde jetzt zur Bewährung ausgesetzt. Dies sei der absolute Regelfall, wenn bestimmte Voraussetzungen wie gute Führung erfüllt sind, heißt es vonseiten der Staatsanwaltschaft.
Michael P. war schon wenige Tage nach der Tragödie festgenommen und im Dezember 2016 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Bei der Tragödie waren am Faschingsdienstag 2016 zwölf Menschen, darunter alle vier Lokführer, in den Tod gerissen worden. Weitere 89 Fahrgäste wurden zum Teil schwer verletzt.

Auch wenn in den sozialen Netzwerken gestern über Begriffe wie Schuld, Sühne und Vergebung heftig diskutiert wurde, glaubt der Rosenheimer Rechtsanwalt Peter Dürr nicht, dass die Nachricht von der Freilassung seine fünf Mandanten emotional sehr treffen wird. „Natürlich werden sie es zur Kenntnis nehmen, aber eher objektiv. Sie waren auf diesen Tag gut vorbereitet“, sagt Dürr als einer von sieben Nebenklagevertretern im Traunsteiner Prozess.
„Es ist und bleibt ein Fahrlässigkeitsdelikt“
Der Fahrdienstleiter sei nicht vorbestraft gewesen, es gebe keine Wiederholungsgefahr, die Sozialprognose sei damit günstig – weshalb mit einer Haftentlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe zu rechnen gewesen sei. Dabei betont der Rechtsanwalt: „Es ist und bleibt ein Fahrlässigkeitsdelikt, es war kein Vorsatz, keine Absicht dahinter.“
Für Angehörige und Betroffene bedeute bereits der Abschluss des Strafverfahrens mit dem Urteil eine Zäsur im Verarbeitungsprozess einer solchen Tragödie. Hilfreich sei dabei auch, dass man sich mit der Versicherung geeinigt habe und zivilrechtlich alles durch sei. Dürr abschließend: „Der Fahrdienstleiter ist gestraft genug mit seiner Schuld. Auch für ihn wird der Neuanfang nicht einfach werden.“ Dass er nie mehr in einem Stellwerk sitzen wird, steht schon jetzt fest.
Die Chronologie der Tragödie und ihrer Aufarbeitung
Die Chronologie der Tragödie und ihrer Aufarbeitung: Am Unglücksmorgen des 9. Februar 2016 rasen zwei Meridian-Züge um 6.48 Uhr auf der eingleisigen Strecke zwischen Kolbermoor und Bad Aibling mit hohem Tempo ineinander.
Das Unglück setzt die ganze Region unter Schock. Alle Faschingsdienstagsveranstaltungen wurden abgesagt. Die Betroffenheit ist groß, während die Bilder von der zerstörerischen Wucht des Aufpralls der Triebwagen und der aufgeschlitzten Waggons – eine der größten Tragödien in der deutschen Eisenbahngeschichte – um die Welt gehen, Ärzte um das Leben der schwerstverletzten Opfer kämpfen und ein Riesenaufgebot an Einsatzkräften die Wrackteile von der Strecke räumen.
Indessen bewegt nicht nur die Ermittler vor allem eine Frage: Wie konnte es nur zu dem verhängnisvollen Zusammenstoß kommen?
Schnell schließen die Gutachter technisches Versagen aus. Die Ermittlungen konzentrieren sich immer mehr auf den Fahrdienstleiter, der am Faschingsdienstag Dienst im Stellwerk Bad Aibling hatte. „Ein furchtbares Einzelversagen“ habe zu der Tragödie geführt, erklärt Oberstaatsanwalt Jürgen Branz eine Woche nach der Katastrophe. Der Bahnmitarbeiter habe „ein Sondersignal gegeben, das nicht gegeben hätte werden dürfen“.
Danach wird viel darüber spekuliert, was der erfahrene Mann, der 20 Jahre für die Bahn gearbeitet hat, denn falsch gemacht haben könnte. Unter anderem hält sich wochenlang die Legende, es habe ein Funkloch auf der Strecke gegeben.

Mitte April kommt die Staatsanwaltschaft dann zu folgendem Ergebnis: Der Fahrdienstleiter, 39 Jahre alt, verheiratet, hat im Dienst am Morgen des Unglückstages sein Handy eingeschaltet, ein Online-Computerspiel gestartet und „über einen längeren Zeitraum bis kurz vor der Kollision der Züge aktiv gespielt“. Deshalb habe er gleich eine ganze Reihe von Fehlern gemacht, so die Ermittler. So wird der 39-Jährige festgenommen und kommt in Untersuchungshaft.
Im Oktober 2016 sind die Trauer um den Tod von zwölf Menschen und das Mitgefühl für ihre Angehörigen und die 89 Verletzten allgegenwärtig, als nahe der Unglücksstelle ein Denkmal geweiht wird. Die Stele aus Stahl, die als Tor den Übergang zwischen Diesseits und Jenseits symbolisieren soll, erinnert an die Katastrophe. „Acht Monate sind seither ins Land gezogen, die Bilder und Eindrücke von damals aber noch präsent wie am ersten Tag“, betont die stellvertretende Ministerpräsidentin Ilse Aigner. Mit dem Denkmal werde ein „Ort der Erinnerung, ein Ort der Menschlichkeit und für die Seele geschaffen“.
Fantasy-Rollenspiel und mehrere Fehler
Einen Monat später beginnt im November der Prozess am Landgericht Traunstein, begleitet von einem großen Medienrummel. Gleich zu Beginn der Verhandlung gesteht der Angeklagte, bis kurz vor dem Zusammenstoß der Meridian-Züge auf der eingleisigen Strecke – trotz eines strikten Verbots – das Fantasy-Rollenspiel „Dungeon Hunter V“ auf seinem Handy gespielt zu haben: Weil er vom Spielen abgelenkt ist, stellt der 39-Jährige am 9. Feb ruar gleich mehrere Signale im Stellwerk falsch und drückt beim Absetzen eines Notrufs auch noch eine falsche Taste, sodass der Alarm die Lokführer der betroffenen Züge nicht mehr erreicht.
Gutachter stellen keine Spielsucht fest
Zwei Gutachter des Inn-Salz ach-Klinikums in Gabersee erklären als Zeugen, das Spiel „Dungeon Hunter V“ habe aufgrund seines Belohnungssystems durchaus Suchtcharakter. Dennoch attestieren die Mediziner dem Angeklagten ausdrücklich „keine Spielsucht im strafrechtlichen Sinn“.
Anfang Dezember betont der Vorsitzende Richter Erich Fuchs im Urteil, der Fahrdienstleiter habe das Bahnunglück grob fahrlässig verursacht und sei wegen zwölffacher fahrlässiger Tötung und 89-facher fahrlässiger Körperverletzung mit dreieinhalb Jahren Haft zu strafen. Die achtmonatige Untersuchungshaft wird dem Verurteilten angerechnet.
Schon im Frühjahr 2018 stellt Michael P. über seinen Anwalt einen Antrag zur vorzeitigen Haftentlassung am 9. März, zieht diesen jedoch wieder zurück. Vier Monate später ist er jetzt wieder frei.