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„Eine Tragödie“: Warum das legendäre Priener „Vitalis“ nach 40 Jahren schließt

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Johannes „Joe“ Schmidt (links) und Slawik Weber (rechts) im Kraftstudio in der Goethestraße 13. Am heutigen Dienstag öffnet es zum letzten Mal, ab morgen ist es Geschichte.
Johannes „Joe“ Schmidt (links) und Slawik Weber (rechts) im Kraftstudio in der Goethestraße 13. Am Dienstag (28. Februar) öffnet es zum letzten Mal, ab Mittwoch (1. März) ist es Geschichte. © Zgela

Der nächste Betrieb macht dicht: Wer im nächsten Monat in der Priener Goethestraße am „Vitalis“ vorbeigeht, wird dort keine Fitnessbegeisterten mehr antreffen. Das ist der Grund für das Ende des ältesten Fitness-Studios Südostbayerns.

von Dominik Zgela

Prien – Für Slawik Weber (31) war dies ein emotional schwerer Kraftakt, wie er im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen bekennt. Er wird die Trainingsräume heute zum letzten Mal öffnen – dann ist Schluss… Das Aus ist die Konsequenz aus den Lockdown-Wochen während der Corona-Pandemie und den im letzten Jahr extrem gestiegenen Energiekosten. Denn zuletzt noch galt es, das 800 Quadratmeter große Studio mittels Erdgas warm und somit in Betrieb zu halten.

Kündigungen während der Pandemie

Zu Beginn des Jahres 2020 begrüßte Slawik Weber nach eigenen Worten „noch reichlich Mitglieder“. Diese blieben ihm auch noch während der ersten Lockdown-Perioden treu, doch mit den weiteren pandemibedingten Maßnahmen ein Jahr später kündigten viele Mitglieder; Neuzugänge blieben nahezu aus. Strikte Sparmaßnahmen sollten ihn weitestgehend durch diese Zeit bringen. „Die explodierenden Energiepreise im vergangenen Jahr waren zu viel und nicht mehr zu stemmen.“

Ein Chiemgauer Fitnesspionier

Dies versetzt auch den früheren Besitzer und Schwiegervater von Slawik Weber, Johannes Schmidt (62), in Trauer: „Der Verlust dieses Studios ist eine Tragödie. Zwar trainiere ich wegen meines Wohnorts in Seeon meist im Kraftraum des lokalen Sportvereins oder im Fitnessstudio in Trostberg, doch trotzdem bin ich hin und wieder vor Ort. Dass mein ehemaliges Studio aber schließt und dies meinen Schwiegersohn und meine Familie trifft, ist schon sehr traurig.“ 

Johannes Schmidt ist ein Chiemgauer Fitnesspionier und in seinen Kreisen als „Joe“ bekannt. Der gebürtige Bernauer ließ sich Ende der 1970er Jahre von dem Fitnesstrend aus den USA inspirieren und wollte ebenso ins Training einsteigen, wie er unserer Zeitung erzählt. Doch als Chiemgauer musste man damals in die großen Städte fahren, um in den Genuss von Beinpresse, Latzug-Station oder Bizepsmaschine zu kommen. Schmidt erinnert sich: „Zu dieser Zeit gab es regional nur ein Studio in München und eines in Rosenheim, das in einer Wohnung untergebracht war. Das war nicht mit den USA zu vergleichen.“

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Denn die Wiege des modernen Bodybuildings liegt in den USA der 1950er Jahre. Befeuert wurde dies durch Hot Spots wie Venice Beach in Kalifornien, an dessen Strand vor den Toren Los Angeles sich die Profi-Szene am sogenannten Muscle Beach die Hantel reichte – darunter der Schauspieler Reg Park, Bodybuilder Chester Yourton oder der junge Arnold Schwarzenegger. „In meiner Bundeswehrzeit lernte ich einen muskelbepackten Feldwebel kennen, der neben US-Magazinen auch die erste, deutsche Bodybuilding Zeitschrift im Gepäck hatte“, so Schmidt.

Idee vom eigenen Studio

„Bilder und Berichte gaben mir einen Motivationsschub, mit dem Sport anzufangen.“ Darunter fand sich auch ein Bericht des Münchener Studios, das er mit Kameraden besuchte. Dort fackelte er nicht lange und kaufte einige Trainingsgeräte, um diese in einer privaten Garage in Prien aufzustellen. Das sprach sich ‘rum und es kamen immer mehr Fitnessbegeisterte hinzu. Nun reifte seine Idee vom eigenen Studio.

Auf der Suche nach Räumlichkeiten wurde Schmidt in der Geigelsteinstraße fündig. Auf 80 Quadratmeter Gewerberaum öffnete er im Januar 1983 die Pforten zu seinem Fitnessraum „Athletik Sport Studio“, dem ersten Fitnessstudio in Südostbayern. Mit Wurfzetteln und Plakaten machte er auf sich aufmerksam, sodass er nach einigen Wochen bereits eine Vielzahl an Mitgliedern hatte. Doch das Ein- und Ausgehen der vielen Mitglieder stieß auf Misstrauen bei einigen Gemeindebürgern.

Beim Tag der offenen Tür im Priener Studio Vitalis im Jahr 1987: der Deutsche Meister im Bodybuilding, Peter Hensel. Archiv Berger
Beim Tag der offenen Tür im Priener Studio Vitalis im Jahr 1987: der Deutsche Meister im Bodybuilding, Peter Hensel. Archiv Berger © Archiv Berger

Passanten beklagten laute Stöhngeräusche

Passanten beklagten laute Stöhn- und Schreigeräusche aus den geöffneten Fenstern, konnten aber wegen der sichtschützenden Gardinen keinen Blick hinein erhaschen. „Der kleine Raum musste durchgehend gelüftet werden und das ging nur dank offener Fenster. Da haben die Leute die Geräuschkulisse mitbekommen und daraus entstand das Gerücht um ein Bordell in Prien, getarnt als Fitnessstudio. Das war kurios.“

Als das Gerücht um das Priener Bordell aufgelöst werden konnte, musste sich der Kraftsportler nun dank steigender Mitgliederzahl um ein größeres Mietobjekt umsehen.

Dabei wurde er in der Goethestraße 13 fündig. Als auch der Eigentümer mit ihm einig war, wurde auf einer Fläche von 300 Quadratmetern aus der damaligen Spielwarenfabrik das neue Studio eröffnet.

Der lange Genehmigungskampf

„Alles lief optimal ab, jedoch hat der Vermieter eine kleine Sache versäumt, die Nutzungsänderung für die Gewerbefläche aufzuführen. Und das wurde dann zu einem Dilemma.“

Dieser Antrag wurde an die Marktgemeinde nachgereicht, vom Bauausschuss aber abgelehnt. Im Prinzip hätte Johannes Schmidt das akzeptieren können, wie er sagt, jedoch war er schon umgezogen und eine weiterere Verlagerung des Betriebs finanziell nicht machbar. Er legte Einspruch ein. Das Ergebnis: Es folgte eine lange Auseinandersetzung mit übergeordneten Behörden wie dem Landratsamt Rosenheim und der Bezirksregierung von Oberbayern; letztlich legte sich Schmidt mit der Instanz des Freistaats an.

Machte sich 1988 im Vitalis fit: Tatjana Mittermayer beim Beintraining. Im gleichen Jahr wurde sie Weltmeisterin im Ski-Freestyle.
Machte sich 1988 im Vitalis fit: Tatjana Mittermayer beim Beintraining. Im gleichen Jahr wurde sie Weltmeisterin im Ski-Freestyle. © -

Franz Josef Strauß löste das Problem

„Nach Wochen gab es diesen einen Vormittag, als plötzlich mehrere Landtagsabgeordnete in meinem Priener Studio standen. Die haben verwundert geschaut und mich zu allem befragt. Parallel haben deren Sekretärinnen die gesamte Unterhaltung protokolliert. Das war vermutlich das erste Mal, dass diese Abordnung des Bayerischen Landtags ein Fitnessstudio von innen gesehen hat“, so Schmidt schmunzelnd.

Ministerpräsident ließ politische Muskeln spielen

Auch dieses Procedere löste sich in Wohlgefallen auf, aber Schmidt wollte nicht aufgeben. „Ich bin aufs Ganze gegangen und habe frech den damaligen Ministerpräsidenten von Bayern, Franz Josef Strauß, angeschrieben. Ich schilderte ihm meine Situation, meine Motivation und mein Dilemma. Die Wahrscheinlichkeit eine Antwort zu erhalten schien mir sehr gering, aber ich musste es machen.“

Zwei Wochen später erhielt er eine postalische Antwort, von Franz Josef Strauss persönlich, der sich offenbar der Sache angenommen hatte und jetzt „seine Muskeln spielen ließ“. Kraft seines Amtes als Bayerischer Ministerpräsident genehmigte er das Priener Fitnessstudio und erlöste Johannes Schmidt von der Genehmigungsschlacht.

Von 1983 bis 1989 konnte der heutige Seeoner sein Studio in der Goethestraße erfolgreich führen. Das Studio wechselte seine Besitzer über die Jahre, 2018 wurde es von Slawik Weber gekauft.

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