Prozess am Landgericht Traunstein
Nach Geiselnahme in Mühldorfer Spielothek: Urteil gefallen
- VonDaniela Haindlschließen
Traunstein/Mühldorf - Er soll unter paranoider Schizophrenie leiden: Bereits seit seiner Festnahme ist der 35-jährige Geiselnehmer in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Heute (19. Oktober) ist sein letzter Prozesstag.
Update, 15.31 Uhr - Urteil gefallen
Nach einer Pause verkündet Vorsitzender Richter Ziegler das Urteil und begründet dies anschließend. Es läge kein versuchter Totschlag vor, so der Richter. „Der entscheidende Gesichtspunkt war, dass der Beschuldigte zu keinem Zeitpunkt damit rechnete, dass der Geschädigte von hinten an den Angeklagten herantreten würde.“
Auch einen geistig gesunden Täter hätte man hier nicht zu versuchtem Totschlag verurteilt. Statt einer Geiselnahme habe man es mit Freiheitsberaubung zu tun, dennoch: „Letztlich blieb es bei uns im Dunkeln, was die Absicht seiner Taten war“, so der Vorsitzende Richter. „Der Zustand des Beschuldigten verbietet eine Bestrafung, gebietet aber die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik. Es ist hier weiterhin die hohe Gefahr gegeben, dass von dem Beschuldigten ein Risiko ausgeht“, so der Richter und schließt die Verhandlung.
Update, 14.57 Uhr - Staatsanwalt fordert Unterbringung in psychiatrischer Klinik
Richter Ziegler schließt die Beweisaufnahme und bittet den Staatsanwalt Markus Andrä um sein Plädoyer. „Was am 15. November 2021 passiert ist, ist tragisch“, beginnt dieser „Die Folgen der Geschehnisse lasten schwer auf den Geschädigten.“ Der Angeklagte sei überzeugt, dass eine Verschwörung gegen ihn im Gange sei und sein Leben zerstört werden solle, so Andrä. Der Staatsanwalt fasst den Tathergang in der Spielhalle zusammen und beschreibt, wie der Mühldorfer die Servicekraft mit dem Messer am Hals festgehalten und der 43-jährige Spielhallenbesucher diese befreien wollte, woraufhin er selbst lebensgefährlich verletzt wurde.
Auch in Zukunft sei mit schweren Delikten zu rechnen
„In meiner Sicht, kann man das Geschehen nicht als ‚versuchten Totschlag‘ ansehen. Das Willenselement liegt nicht vor. Dass er wollte, dass jemand stirbt, kann ich nicht als erwiesen ansehen“, so der Staatsanwalt. „Ich sehe hier eine Geiselnahme als Tatbestand an. Meiner Meinung nach ist Herr W. schuldunfähig. Er leidet an einer paranoiden Schizophrenie. „Die Tat ist aufgrund dieser Erkrankung begangen worden“, so Andrä. Es sei außerdem keine Besserung der Erkrankung eingetreten. Auch in Zukunft sei mit schweren Delikten zu rechnen, weswegen der Staatsanwalt für eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik plädiert.
Geschädigte immer noch arbeitsunfähig und traumatisiert
In ihrem Plädoyer schließt sich die Rechtsanwältin der geschädigten Servicekraft den Ausführungen des Staatsanwaltes an. Ihre Mandantin sei seit der Tat in psychologischer Betreuung und nicht fähig in den Arbeitsalltag zurückzukehren. Auch Axel Reiter, Rechtsanwalt des geschädigten Spielhallenbesuchers schließt sich ebenso den Ausführungen des Staatsanwaltes an. „Auch bei aller Tragik wünscht mein Mandant dem Angeklagten, dass er seine Krankheit in den Griff bekommen könne und hegt keinen Groll“, so Reiter. „Die Verletzung hat meinem Mandanten seelisch stark zugesetzt. Das Messer drang drei Zentimeter in dessen Bauchhöhle ein. Meines Erachtens nahm der Angeklagte es billigend in Kauf, dass mein Mandant durch den heftigen Stoß nach hinten und eine Stich-Schnitt-Verletzung von 5 cm sterben könnte.“
Angeklagter befindet sich „in Abwärtsspirale“
Der Rechtsanwalt des 35-jährigen Angeklagten plädiert ebenso für Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik. Sein Mandant befinde sich in einer dramatischen Abwärtsspirale. Es liege aber keine Tötungsabsicht und keine Geiselnahme vor. „Ich möchte mich noch einmal bei den Geschädigten entschuldigten“, beginnt der Angeklagte seine letzten Ausführungen vor dem Urteilsspruch des Gerichts. „Ich wusste es nicht, ich war einfach verängstigt.“ Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen spricht er erneut über wirre Vorfälle und leugnet seine Erkrankung.
Richter Ziegler unterbricht die Sitzung, für die Beratung der Kammer.
Update, 14.24 Uhr - Verschwörung des BND: Drogen sollen Wahn verstärkt haben
Nachdem der Töginger aus dem Zeugenstand entlassen wird, bittet Vorsitzender Richter Ziegler den psychiatrischen Sachverständigen Dr. Huppert um sein Gutachten. Dieser gibt an, dass der Angeklagte in Siebenbürgen geboren und dann mit den Eltern nach Deutschland gekommen sei. Sowohl während der Schulzeit als auch während der Lehrzeit wäre der Beschuldigte unauffällig gewesen. Ein Bruch in der Lebensgeschichte sei erst aufgetreten, als W. begann Betäubungsmittel wie Crystal und Amphetamine zu konsumieren. Außerdem sei es zu episodisch massivem Alkoholmissbrauch gekommen. Dies habe eine deutliche Unstetigkeit in dessen Lebenslauf gebracht.
Beschuldigter hört Stimmen
„Es war in den Gesprächen oft schwierig, die Dinge nachzuvollziehen“, so Dr. Huppert. Der Angeklagte berichte davon, dass eine Verschwörung des Bundesnachrichtendienstes und von Mentalisten gegen ihn im Gange sei. „Er berichtete von einem Medienrummel um ihn und dass die Polizei bis Schleswig-Holstein in seinem Fall involviert sei“, sagt der Gutachter. In der Klinik habe W. von Vergewaltigung berichtet und dass der Beschuldigte Stimmen aus dem Radio höre. Unter plötzlichem Wahneinfall könne es zu völlig unwägbaren Zwischenfällen kommen, so der Gutachter.
Liegt paranoide Schizophrenie vor?
Der Angeklagte leide unter einer vielschichtigen und komplexen Symptomatik und beziehe alles Erlebte auf sich – auch Zufälle. „Er wirkt einsam, manchmal auch kämpferisch. Ist aber nicht in der Lage kritische Distanz zu dem Erlebten einzunehmen und zeigt keinerlei Krankheitseinsicht“, so Dr. Huppert. Der Beschuldigte zeige ein sehr eindrucksvolles Wahnerleben. Man müsse davon ausgehen dass eine Vorsymptomatik der Erkrankung bereits zum Ende des zweiten Lebensjahrzehntes begonnen habe. Der Gutachter bestätigt das Vorliegen einer paranoiden Schizophrenie. „Sich erschießen lassen vom SEK: Das illustriert eine besondere Motivierungskette“, so der Sachverständige.
Update, 13.45 Uhr - Schwester des Angeklagten verweigert die Aussage
Der letzte Verhandlungstag im Prozess gegen den 35-jährigen Beschuldigten beginnt. Vorsitzender Richter Ziegler ruft die Schwester des angeklagten W. in den Zeugenstand. Die 26-Jährige verweigert die Aussage über ihren Bruder und zur Sache. Im Anschluss übergibt der Angeklagte einen Walkman und Disc-Player als Beweismittel und erläutert, welchen Inhalt die Aufnahmen enthalten. Es handele sich um Aufnahmen eines Fußballspieles und Tonaufnahmen von der Stimme des Beschuldigten. Richter Ziegler verliest daraufhin, dass die Kammer den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung als möglich betrachte. In Bezug auf den Vorwurf der Geiselnahme erwäge die Kammer die Möglichkeit, dass es sich um schwere Freiheitsberaubung mit schwerer Gesundheitsschädigung des Opfers handeln könne.
„Er sagte, wir hätten ihn früher vergiftet“
Nach einer kurzen Pause wird der letzte Zeuge in den Zeugenstand gerufen. Der 33-jährige Töginger sagt aus, er kenne den angeklagten Mühldorfer „von früher“ und habe ihn im September 2019 am Bahnhof Töging zufällig getroffen. Der Beschuldigte sei auf ihn zugegangen und habe ihn angesprochen: „Er hat gesagt, wir haben ihn früher vergiftet und er hätte die Beweise auf einem USB-Stick. Dann hat er mich mit einer Hand festgehalten und mit der anderen hatte er plötzlich ein Messer in der Hand“, so der Zeuge. Der Angeklagte habe zweimal nach dem Zeugen gestochen, der noch ausweichen konnte.
Angeklagter soll wirres Zeug geredet haben
„Er redete Schmarrn. Es hatte keine Hand und keinen Fuss“, so der Zeuge. Der Angeklagte sei außerdem angetrunken gewesen. Zum Glück sei ganz in der Nähe ein Polizeibeamter gewesen, den sowohl W. als auch der Zeuge dann aufsuchten. „Ich war fix und fertig – es passiert ja nicht jeden Tag, dass jemand mit dem Messer auf einen losgeht“, sagt der Mann aus. Am nächsten Tag sei er noch einmal zur Polizei. Richter Ziegler spricht den Zeugen darauf an, ob es wahr sei, dass der Zeuge in der Jugend mit dem Angeklagten Rauschgift konsumiert habe. Der Zeuge stimmt zu.
Vorbericht
Er hat einen 43-Jährigen lebensgefährlich mit dem Messer verletzt und eine 27-jährige Frau als Geisel genommen. Der Angeklagte ist 35 Jahre alt und laut Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg eventuell schuldunfähig. Im Normalfall würde den Beschuldigten eine Haftstrafe von mindestens fünf Jahren für versuchten Totschlag und mindestens weitere fünf für Geiselnahme erwarten. Seine Taten konnten mit Hilfe von Überwachungskameras belegt werden. Diese hatten gefilmt, wie der 35-Jährige die Servicekraft einer Spielothek in Mühldorf in den Schwitzkasten nahm und einem Besucher ein Messer in den Bauch rammte. Der konnte den Angriff mit Glück überleben, denn er war in einer Klinik notoperiert worden. Die psychischen Folgen der Tat quälen aber sowohl die 27-jährige Geisel als auch den 43-jährigen Überlebenden.
Bundesnachrichtendienst habe es auf Geiselnehmer abgesehen
Laut Zeugen sei das Verhalten des Geiselnehmers während der Taten nicht nachvollziehbar gewesen. Ein Polizeibeamter sagte aus, dass der Beschuldigte wirres Zeug geredet habe. Auch dem Gericht gegenüber hatte der Angeklagte sich darüber geäußert, dass er vom Bundesnachrichtendienst, diversen Radiosendern und Passanten beobachtet werde. Am Tag der Geiselnahme habe er seine Wohnung bereits angetrunken verlassen. Als die Polizisten ihn mit einer Waffe bedrohten, sei die Situation seiner Meinung nach eskaliert. Er habe sich nur Gehör verschaffen und die Dinge aufklären wollen, sagte der Beschuldigte aus. Am 19. Oktober soll ein medizinisch-psychologischer Gutachter in dem Fall aussagen. Vermutlich wird dann auch die Entscheidung fallen, ob der Beschuldigte in eine Fachklinik eingewiesen werden soll.
chiemgau24.de berichtet ab 12 Uhr live aus dem Gerichtssaal.
Die bisherigen Prozesstage zum Nachlesen:
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