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„Wir müssen den Kindern erst laufen lernen“: Vorsitzender des Priener Sportvereins schlägt Alarm

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Von: Dirk Breitfuß

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Noch ist es erlaubt: Zweimal in der Woche trainiert TuS-Vorsitzender Christian Fellner den Badminton-Nachwuchs in der Halle des Ludwig-Thoma-Gymnasiums.
Noch ist es erlaubt: Zweimal in der Woche trainiert TuS-Vorsitzender Christian Fellner den Badminton-Nachwuchs in der Halle des Ludwig-Thoma-Gymnasiums. © Anita Berger,Foto Berger-Prien a

Turnhallen werden geschlossen, Sportunterricht darf nur mit Maske stattfinden, Kinder sitzen beim Homeschooling noch länger vor dem Computer. Sport und Bewegung geraten ins Hintertreffen. Der Vorsitzende des TuS Prien warnt vor den Folgen.

Prien – „Wir müssen den Kindern erst richtig laufen beibringen.“ Christian Fellner, der Vorsitzende des TuS Prien, meint keine Babys, wenn er das sagt, sondern größere Mädchen und Buben, die neu zum Sportverein kommen. Bewegungsmangel und Koordinationsschwierigkeiten beobachten Sporttrainer wie Fellner in Corona-Zeiten immer häufiger.

Zweimal in der Woche steht der Vorsitzende des Turn- und Sportvereins (TuS) abends mit Kindern und Jugendlichen selbst in der Halle beim Badminton-Training – wenn es Corona-bedingt erlaubt ist und die Hallen nicht gesperrt sind. Zwangspausen gab es aber auch seit Beginn der Pandemie. Stundenlanges Sitzen vor dem Computerbildschirm beim Homeschooling kommt dazu. Fellner denkt die Folgen schon weiter: „Das wird uns als Gesellschaft auf die Füße fallen, wenn immer mehr Jüngere Haltungsschäden bekommen“, warnt er.

Politik trägt für TuS-Chef Mitschuld

Was Sportlehrer mitunter nur hinter vorgehaltener Hand berichten, spricht der TuS-Vorsitzende offen aus, wenn er der Politik mindestens eine Teilschuld am zunehmenden Bewegungsmangel der jungen Generation zuschreibt, weil sie den Sportunterricht an Schulen schon vor Corona massiv eingeschränkt habe. Dass deutsche Athleten bei internationalen Wettkämpfen weniger Medaillen einheimsen als früher, ist für ihn zum Teil eine Folge des dezimierten Sportangebots.

Der TuS habe, im Gegensatz zu vielen anderen Sportvereinen, die Pandemie bisher ohne einen großen Aderlass bei der Mitgliederzahl überstanden. „Es sind überraschend viele neue Kinder nachgekommen.“ Aber bei ihnen macht Fellner nun öfter Defizite aus. Die ließen sich zwar durch Training ausgleichen, aber das dauere eineinhalb Jahre länger. „Wir haben früher im Sommer Steine ins Wasser und im Winter Schneebälle geschmissen“, beschreibt der Vereinsvorsitzende. Das täten Kinder heute immer seltener, deshalb fehlten ihnen die natürlichen Bewegungsabläufe für viele Sportarten. Er habe seine Trainingspläne deshalb komplett umgestellt. „Du fängst jetzt bei den Grundlagen an“, also bei Koordinationsübungen mit Musik zum Beispiel.

Nicht ganz so dramatisch schätzt Fritz Seipel die Lage ein. Er leitet die Turnabteilung, die mit Abstand größte in der TuS-Familie. Der Nachwuchsbereich ist allerdings seit Beginn der Pandemie um etwa zehn Prozent geschrumpft. Zuvor waren 300 Mädchen und Buben gemeldet. Rund 60 Eltern hätten ihren Nachwuchs abgemeldet, als es Corona-bedingt kein Training geben konnte. Dem gegenüber standen etwa 30 Neuzugänge, so Seipel.

„Nicht so arge Probleme“ bei den Grundlagen der Bewegung hat Seipel bei den größeren Kindern ausgemacht. Bei den ganz Kleinen gehörten Übungen zur Schulung der Körperbeherrschung wie Balancieren ohnehin zum Trainingsprogramm. „Wir sind noch glimpflich davongekommen“, zieht der Chef der TuS-Turner als Corona-Zwischenbilanz. Sorge bereitet ihm vor allem der Mangel an Übungsleitern. Fast 30 sind für die Turner im Einsatz. Sieben von ihnen mussten während der Pandemie ihre Scheine turnusmäßig erneuern, alle hätten das durchgezogen, ist Seipel froh.

Schwierige Suche nach Trainern

Dagegen sind die bisherigen Aufrufe bei der Suche nach Verstärkung fürs fast 30-köpfige Trainerteam verpufft. Deshalb musste schon eine der beiden wöchentlichen Eltern-Kind-Gruppen bis auf Weiteres ausgesetzt werden.

„Nicht ganz so drastisch wie im Verein sind die Folgen des Bewegungsmangels bei Kindern im Schulsport“, glaubt Daniel Krägeloh, Fachschaftsleiter für den Sport an der Chiemsee-Realschule Prien. Defizite macht er vor allem im Ausdauerbereich aus. Die Schule habe versucht, im Sommer so oft wie möglich den Sportunterricht ins Freie zu verlegen, aber „es fehlt schon Bewegung“. Wegen der „gravierenden Beschränkungen“ seien intensive Ausdauereinheiten nicht machbar. Grundsätzlich werde es den Schülern freigestellt, wegen des Maskenzwangs in der Turnhalle einzelne Übungen auszulassen.

Weil Bäder oft geschlossen waren, haben Kinder keine Chance gehabt, einen Kurs zu besuchen und schwimmen zu lernen. Andreas Schaller, Direktor des Ludwig-Thoma-Gymnasiums, hat in den fünften Klassen inzwischen schon einige Nichtschwimmer. Um sie zu betreuen, wenn die anderen mal zum Schwimmunterricht gehen, habe das LTG extra eine zusätzliche Kraft von der Wasserwacht eingestellt, die der Förderverein bezahle, berichtet Schaller. Er spricht von „großen Defiziten“ beiden Schwimmfähigkeiten der Kinder im Vergleich zu früheren Jahrgängen.

Nach Sportunterricht in der Turnhallen mehren sich die Beschwerden von Eltern, deren Kinder nach dem Sport mit Maskenzwang über Kopfschmerzen klagen. „Unsere Lehrer stellen es den Kindern frei, bei Übungen mitzumachen“, so der Direktor.

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