Dorf setzt sich mit Vergangenheit auseinander
Gedenken an sexuellen Missbrauch durch Priester – Neuer Andachtsraum in Unterwössen eingeweiht
- VonAxel Effnerschließen
Joseph Ratzinger will vom Missbrauch in Unterwössen nichts gewusst haben. Nun wurde ein Andachtsraum in der Pfarrkirche eröffnet. Über ein Dorf, das sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt.
Unterwössen – Im Beisein von rund 40 Gottesdienstbesuchern fand vergangenen Samstag die Einweihung des neuen Andachtsraumes in der Pfarrkirche St. Martin in Unterwössen statt. Mit ihm sind die Renovierungsarbeiten der Kirche endgültig abgeschlossen. Bereits im Vorfeld war der von dem Bildhauer Andreas Kuhnlein gestaltete Raum überregional auf Interesse gestoßen. Verbindet er doch auf sensible Weise die Möglichkeit zur Andacht mit dem Gedenken an den sexuellen Missbrauch durch einen Priester, der in den 60er Jahren in Unterwössen stattgefunden hat. Die musikalische Umrahmung des Gottesdienstes übernahm Sigrid Meier auf der Harfe.
Angemessener Ort des Umgangs
Pfarrer Martin Straßer erinnerte in dem Wortgottesdienst an die vielen Besprechungen und Vorarbeiten, bis der Ort und die Art der Gestaltung des Andachtsraumes durch Kuhnlein feststand und die Realisierung umgesetzt werden konnte. Nicht weniger anspruchsvoll sei der Gedanke gewesen, das unangenehme Thema des Missbrauchs aufzugreifen und ihm einen angemessenen Ort des Umgangs damit zu widmen.
Die jetzige Kapelle unter dem Kirchenturm habe lange keine Funktion gehabt. Durch die sensible Gestaltung vergegenwärtige der jetzige Andachtsraum nun den Leidensweg und die Auferstehung Christi und ermögliche es, „das Licht Gottes zu empfangen“. Andreas Kuhnlein ging auf die konstruktiven Gespräche mit Architekt Helmut Birner ein, der für die Renovierung zuständig war.
Der anfänglich ins Auge gefasste Vorraum sei wegen der drei Türen als ungeeignet verworfen worden. So fiel die Wahl des jetzigen Kapellenraums auf die ehemalige Läutstube des Glockenturms. Dieser entfalte durch die Bruchsteine ein besonderes Flair.
Sieben Jahre Planung
Der Bildhauer aus Unterwössen schilderte auch, wie sich die Pläne für die inhaltliche Gestaltung im Laufe der siebenjährigen Planungs- und Realisierungsphase verändert hätten. Nach den Wünschen von Pfarrer Martin Straßer sei ursprünglich ein Kreuzweg geplant gewesen. Dieser erschien aber aufgrund der räumlichen Enge schwierig zu realisieren. Ziel sei gewesen, die „zentrale Botschaft des Glaubens“ bildhaft umzusetzen.
Anstoß für die jetzt umgesetzte Idee sei ein Presseartikel über die Entschuldigung von Kardinal Reinhard Marx bei den Opfern des sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester gewesen, schilderte Kuhnlein weiter. Aufgrund der persönlichen Freundschaft mit Betroffenen und der jahrzehntelangen Vertuschung gerade durch hochgestellte Geistliche hab er einen geharnischten Brief an den Kardinal geschrieben, erklärte Kuhnlein.
Nach Vermittlung durch Marx sei dann in „sehr offenen und ermutigenden Gesprächen“ mit führenden Mitarbeitern des Erzbischöflichen Ordinariats in München aus dem Bereich Missbrauch und Prävention die Idee entwickelt worden, den Ort der Andacht sensibel mit der Missbrauchsthematik zu verbinden. Diese sei auch mit dem unabhängigen Betroffenenbeirat der Erzdiözese abgestimmt worden. Ausführlich ging Kuhnlein auch auf die inhaltlichen Aspekte des Andachtsraumes ein, der „gegen viele Widerstände“ realisiert werden konnte. Er bedankte sich ausdrücklich bei den „vielen engagierten Mitstreitern“ in Pfarrgemeinderat, Kirchenverwaltung und im Gemeinderat.
„Befreiung“
Bürgermeister Ludwig Entfellner hob die „Befreiung“ hervor, die Unterwössen durch den neuen Andachts- und Gedenkort erfahren habe. Nach dem sexuellen Missbrauch durch einen Pfarrer vor rund 60 Jahren seien die Jugendlichen und ihre Familien allein gelassen, stigmatisiert und aus der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt worden. Dies habe großes Leid verursacht. Auch wenn einige bereits „mit dieser Last und Ungerechtigkeit“ verstorben seien, könne das Andenken in einem kirchlichen Andachtsraum Betroffenen und ihren Familien wenigstens „posthum Heilung bringen“.
„Gerechtigkeit und Versöhnung“
Mit dem Gedenkort werde „durch Klarheit und Transparenz falschen Schuldzuweisungen und Spekulationen von höchster Stelle ein Ende gesetzt“. Dabei gehe es nicht um eine erneute Verurteilung der Täter, sondern „um Gerechtigkeit, Versöhnung und Vergebung“.
Diese Befreiung im Geiste Jesu Christi sei auch für alle Ehrenamtlichen als tragende Säulen der Kirche wichtig, ergänzte Entfellner. Nur so könne „Glaube und Kirche auch künftig eine Ankerwirkung in der Gesellschaft entfalten“.