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Die Angst vor der vierten Welle: „Dann produzieren wir sterbende Geschäfte wie noch nie“

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Von: Christina Eisenberger

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Jürgen Pieperhoff Stadtmarketing Traunstein Einzelhandel
Jürgen Pieperhoff, Geschäftsführer Stadtmarketing Traunstein spricht über den kleinen Einzelhandel und die Sorge vor weiteren Beschränkungen. © Stadtmarketing Traunstein/Jürgen Pieperhoff/dpa (Montage)

Die Inzidenzen in der Region steigen wieder rapide. Der heimische Handel plagt sich und kämpft währenddessen um jeden Kunden. Der Einzelhandel in Traunstein blickt deswegen mit Sorge gen Herbst. Der Kunde kauft zwar wieder gern ein, doch reicht ein schwacher Umsatz-Sommer, um das Überleben der Geschäfte bei drohenden neuen Beschränkungen zu sichern?

Traunstein - „Der Handel tut sich im Moment schwer, alte Umsätze einzufahren“, erzählt Jürgen Pieperhoff, Geschäftsführer des Stadtmarketings Traunstein. Das merke man vor allem bei den größeren Ketten, da diese Bilanzen veröffentlichen müssen. „Die klagen nach wie vor, dass der Kunde zwar da ist, aber das Einkaufen mit Maske belaste einfach erheblich.“ Doch wieso floriert der Handel nach teils monatelangem Lockdown nicht? Liegt es wirklich an der Maske? Zum Teil ja, meint Pieperhoff: „Wenn Sie Mode einkaufen wollen, dann ist die Maske einfach ein Hindernis, das beim Einkaufen stört. Wenn Sie einen Großeinkauf bei Lebensmitteln machen mit der Maske, dann ist es ja wie wenn Sie Hochleistungssportler sind und dann mit einer Maske die eigene Sauerstoffzufuhr beschränken. Ich will die Maske nicht wegdiskutieren, aber sie ist sicherlich nicht etwas, was einen Komforteinkauf förderlich macht.“

Hinzu kommt, dass nicht mehr alle Waren immer verfügbar seien. „Das haben wir die letzten Jahrzehnte überhaupt nicht mehr gekannt, dass Dinge knapp werden.“ Jetzt gebe es ganze Bereiche, die nicht mehr beliefert würden. Man sei mittlerweile sehr vom internationalen Warenverkehr abhängig. Also selbst, wenn Käufer da wären, könne man nicht verkaufen.

„Der Bürger kauft wieder gerne ein“, doch die Rahmenbedingungen passen nicht

Die Stimmung bei den Kunden sei jedoch grundsätzlich auffallend positiv. „Die Menschen kommen sehr freundlich in die Geschäfte. Man schätzt die Leistung des Gegenübers wert. Der Bürger kauft wieder gerne ein“, erklärt Pieperhoff. Jedoch seien letztendlich die Rahmenbedingungen des Einkaufs nicht komfortabel. „Im Grunde genommen hat man die meisten Dinge schon zu Hause und es geht nur darum, gegen etwas Neues auszutauschen.“ Dazu müsse das Einkaufen Spaß machen. Derzeit fehle jedoch die Stimmung beim Shoppen und dies mache sich eben auch in der Weiterentwicklung bestehender Umsätze durchaus bemerkbar, wie Pieperhoff weiter erklärt. „Der Kunde ist ein soziales Wesen, der soziale Kontakte will. Das wollen die Kunden, das wollen die Mitarbeiter. Und wenn sie das nicht reibungslos sicherstellen können, dann haben sie nicht den Einkauf wie vor Corona.“

„Ich bin vom Arzt befreit“

Viele Menschen würden sich jedoch auch nicht mehr an die Spielregeln halten. „Dann fängt der arme kleine Verkäufer am Eingang an und führt Diskussionen: ‚Sie müssen eine Maske tragen.‘ Der andere sagt ‚Ich bin vom Arzt befreit.‘ Das ist also ein riesiger Hobbysport geworden, dass Viele sich hinter dieser Floskel verstecken. Der Verkäufer ist leider verpflichtet, das Maske-Tragen umzusetzen, weil er sonst eine Strafe bekommt. Und dem Kunden ist das wurscht. Und wenn sie mit so einem Verhältnis dann einen Einkauf beginnen, dann sagt einem schon die Logik: Das kann nichts vernünftiges werden, weil beide angespannt sind. Geld gibt man freudig aus, wenn man persönlich dazu eingestimmt ist. Nicht weil man sich gerade geärgert hat.“

„Dann produzieren wir sterbende Geschäfte“

Deutschland steht laut dem RKI am Beginn der vierten Pandemie-Welle. Rund fünf Wochen früher als noch im Vorjahr. Wenn nochmal Verschärfungen kommen würden, kann sich der Einzelhandel das im Generellen überhaupt noch leisten? „Klare Antwort: Nein. Dann produzieren wir sterbende Geschäfte. So wie man es bisher noch nie kannte. Es wird natürlich einen Teil geben, der überlebt. Aber es gibt jetzt schon etliche Geschäfte, die nochmal Geld reingepumpt haben, eine Lebensversicherung aufgelöst haben und so weiter. Der kleine Einzelhändler versucht es zu retten, solange es geht. Und manch ein Unternehmer hat sich selber ein geringeres Gehalt ausgezahlt als seinen Mitarbeitern. Der kleine Einzelhandel kämpft bis zur letzten Patrone. Aber letztendlich werden nicht alle überleben können, weil einfach der Umsatz fehlt. Wenn Sie so lange einen Geschäftsbetrieb belasten, dann kriegen Sie eigentlich jedes Unternehmen damit in die Knie.“

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Deswegen blicke der Einzelhandel auch mit großer Sorge gen Herbst und Winter: „Wir sind von geschickten politischen Entscheidungen abhängig“, die Regierung müsse entsprechende gesundheitliche Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung treffen. Unter dem Aspekt Einkaufen und Einzelhandel sei jede Auflage jedoch als eine Belastung zu bewerten, so Pieperhoff weiter. „Dass wir um die Maske nicht umhin kommen werden die nächsten Monate, wahrscheinlich Jahre, das ist dem Einzelhandel sehr wohl bewusst. Aber weitere Belastungen wie Zeitfenster, das sind Dinge, die kann der Einzelhandel nicht gebrauchen.“

ce

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