+++ innsalzach24.de berichtet auch dann wieder live und in Ausschnitten von der Verhandlung. +++
Im Anschluss macht eine weitere Polizistin Angaben zur Sache. Die Beamtin der Polizeiinspektion Mühldorf war ebenfalls beim Einsatz an der Spielothek vor Ort. Sie stellte zusammen mit einem Kollegen den Beschuldigten im direkten Umfeld erstmals fest: „Nachdem eine Fahndung eingeleitet worden war, haben wir eine Person auf der Straße angetroffen, der jemanden gesehen hat, der auf die Beschreibung passt“, führt die Zeugin aus. Man sei umgehend zum beschriebenen Ort hingefahren. Im Bereich der Spielhalle angekommen, habe man die beschriebene Person angetroffen.
„Als wir die Person einer Kontrolle unterziehen wollten, ist er sofort losgerannt in Richtung des Eingangs der Spielhalle - mit den Worten ‚Wir sehen uns gleich drin!‘“ so die Polizistin weiter. Nachdem sie weitere Kollegen erfolgreich alarmiert hatte, sei kurz das taktische Vorgehen besprochen worden. Danach habe man sich in das Gebäude begeben und konnte kurze Zeit später den 35-jährigen Mühldorfer erfolgreich festnehmen.
Nach der Aussage der Polizistin werden vor Gericht Video-Aufnahmen aus der Spielothek vom Tat-Abend abgespielt. Auf den Aufzeichnungen sind ganz unterschiedliche Blickwinkel aus dem Inneren der Spielothek zu sehen. So kann beispielsweise nachvollzogen werden, wie der Beschuldigte die Geschädigte zur Toilette begleitet. Ebenfalls erkennbar – auf einem Video aus dem Eingangsbereich der Spielothek – wie der Beschuldigte die Geschädigte im Schwitzkasten und mit einem Messer bewaffnet in Richtung der angerückten Beamten führt. Und auch, wie der Waldkraiburger kurze Zeit später die Räumlichkeiten wieder betritt – und sich dabei den verletzten Bauch hält.
Auf einer weiteren Aufnahme vom Außenbereich der Spielothek lässt sich das Geschehen in den Sekunden des Zugriffs beobachten – wenn auch aufgrund der Witterung und der beschlagenen Kamera merklich unscharf: Der Waldkraiburger versucht dem Beschuldigten das Messer von hinten zu entreißen. Es kommt zu einer Rangelei, die Geisel kann sich in Sicherheit bringen. Mehrere Polizisten nehmen den 35-jährigen Mühldorfer mit vereinten Kräften in Gewahrsam.
Dann sagt noch ein weiterer Polizist vor der Kammer aus. Der Beamte der PI Waldkraiburg hatte bereits im Vorfeld der Geiselnahme mit dem heute Beschuldigten zu tun. Bei einem Unterstützungseinsatz im Jahr 2020 in Mühldorf sei der 35-Jährige schon negativ in Erscheinung getreten. Bereits zu diesem Zeitpunkt habe der Mann die Beamten und auch umstehende Passanten im Rahmen einer Kontrolle beleidigt und beschimpft. Bei einer Taschenkontrolle habe man ein Einhand-Messer gefunden.
Nach einer kurzen Unterbrechung setzt Richter Volker Ziegler die Verhandlung weiter fort. Die Personalien des Beschuldigten werden eingeführt. Über seinen Rechtsanwalt Martin Lämmlein lässt der Beschuldigte „entlastendes Beweismaterial“ in Form von mehreren Datenträgern an die Kammer übergeben. Darauf sollen sich laut seinen Angaben Bilder, Audio-Dateien und weitere Dateien befinden, die erklären soll, dass „der Fokus“ – ein Wort, das der Beschuldigte sehr häufig verwendet - nur zu Unrecht auf ihn gerichtet sei. Richter Ziegler fragt nach: „ Wann wurde dieser Fokus denn zum ersten Mal auf Sie gerichtet?“
Eine Frage, die der Mühldorfer dann aber nicht abschließend beantworten kann. Stattdessen schweift er in seinen Ausführungen vor Gericht immer weiter aus - die Kammer muss den Beschuldigten mehrfach zurück auf das Wesentliche verweisen. „Wir drehen uns im Kreis, weil wir immer wieder auf dieselben Punkte zurückkommen“, attestiert Volker Ziegler. Auf Nachfrage von Staatsanwalt Markus Andrä bestätigt der Mühldorfer, in der Vergangenheit Drogen genommen zu haben. Neben „viel Alkohol zur Beruhigung“ habe er auch Ecstasy konsumiert.
Im Anschluss macht ein Polizeibeamter, der im November 2021 den Einsatz in der Spielothek miterlebt hat, Angaben zur Sache. Am Nachmittag habe die Streife die Meldung erhalten, dass im Stadtgebiet eine Person „mit einem Messer in der einen Hand und Bier in der anderen“ unterwegs sei. Auf der Fahrt durch die Innenstadt habe der Polizist dann eine andere Streife im Bereich der Spielhalle beobachtet, die eine Person kontrolliert hatte; er sei mit seinem Kollegen also weitergefahren. Kurz danach hörte die Wagenbesatzung den dringenden Funkspruch der Kollegin, an der sie gerade eben noch vorbeigefahren waren.
„Wir sind dann sofort hingefahren, haben mit den Kollegen vor Ort Kontakt aufgenommen und uns direkt abgestimmt“, so der Polizist. Man habe die persönliche Schutzausrüstung angelegt und sei umgehend in die Spielothek vorgerückt, und weiter: „Dort haben wir eine männliche Person mit einer weiblichen Person im Schwitzkasten mit einem Messer am Hals festgestellt. Ich habe dann noch gerufen: Geisellage! Geisellage!“
Man sei sofort zurückgewichen, um das Leben der Frau nicht zu gefährden. „Geredet habe nur ich kurz mit ihm. (...) Er hat dann nur gemeint, er redet nicht mit Mühldorfer Polizisten, sondern nur mit dem SEK aus München“, ergänzt der Beamte. Mit gezogenen Dienstwaffen und einer Distanz-Elektroimpulswaffe – besser bekannt als Taser – habe man zunächst vor Ort verharrt.
Dann habe der Beamte plötzlich eine weitere Person im Augenwinkel gesehen; ein anderer Spielhallenbesucher habe dann schon zugepackt und versucht, dem Geiselnehmer die Waffe zu entreißen.
Der Polizist habe daraufhin seine Pistole ins Holster gesteckt, den Geiselnehmer rasch entwaffnet und festgehalten: „Uns ist auf alle Fälle gelungen, die Geisel wegzubekommen und den Täter zu fixieren. Die Geisel war unverletzt. Beim Spielhallenbesucher haben wir aber eine große Stichwunde festgestellt.“
Nach der Aussage des Beschuldigten steigt Richter Ziegler in die Hauptverhandlung ein; der erste Zeuge erscheint vor der Kammer. Der Waldkraiburger schildert die Vorkommnisse rund um die Geiselnahme. „Es war ein Montag, da habe ich die Spielothek aufgesucht“, berichtet der 43-Jährige. Nach kurzer Zeit habe ein anderer Mann die Räumlichkeiten betreten und sei direkt auf die Servicekraft zugekommen. „Danach ist sie auf die Knie gegangen, das war eigenartig“, ergänzt der Zeuge.
Einen kurzen Moment später sei der Beschuldigte hinter seinem Spielautomaten vorbeigegangen - mit der linken Hand soll er dabei die Frau geschoben haben, in der rechten Hand trug er ein Messer, so der Zeuge weiter. „Ich bin aufgestanden, wollte den Raum eigentlich verlassen, hab es dann aber doch nicht getan“, so der Waldkraiburger. Im Augenwinkel habe er die Polizisten entdeckt; sei daraufhin in engem Blickkontakt gestanden. Eine Aufforderung zum Handeln seitens der Beamten habe es nicht gegeben, „ich habe aus Eigeninitiative eingegriffen.“ Auf das Verhalten des Geiselnehmers angesprochen ergänzt er: „Ich hatte schon das Gefühl, dass er weiß, was er tut. (...) Aber nicht, dass es ein Überfall war.“
An die entscheidenden Sekunden des Angriffs könne sich der Zeuge nur noch vage erinnern. Er habe versucht, den Arm des Beschuldigten festzuhalten. Das Messer sei kurz vorher „nah an der Frau“ gewesen. Im Moment, als er zugriff, habe der Beschuldigte die Waffe kurz von der Frau entfernt. Plötzlich habe er den Stich gespürt. „Die Polizisten sind dann auf ihn drauf und haben ihn sofort fixiert“, so der Waldkraiburger abschließend. Auch heute noch leide er als Spätfolgen unter Schlafstörungen, verspüre immer noch ein Brennen im Bauch. „Ich hoffe, dass ich bald die Medikamente weglassen kann und schlafe wie früher.“
Unter Tränen berichtet die 27-jährige Servicekraft von der Geiselnahme. Während ihrer Schicht sei ein Mann mit einem Messer unvermittelt aufgetaucht. Er habe sie umgehend aufgefordert, auf die Knie zu gehen. Auf die Frage, ob er Geld wolle, habe er geantwortet: „Nein, das ist ein Spiel!“ und „Ich werde eh heute sterben.“ Mit Einverständnis des Beschuldigten sei sie zunächst auf die Toilette gegangen. Dort habe die Geschädigte den Schichtleiter angerufen - mit der Bitte, die Polizei zu verständigen. „Die sind kurz darauf schon reingekommen“, so die Zeugin weiter. Der Beschuldigte habe sie daraufhin gepackt, die Stichwaffe an den Hals gehalten und sei mit ihr zusammen in Richtung der Beamten gegangen. „Ich habe das Messer direkt am Hals gespürt“, so die Zeugin.
Ein Spieler habe dann schließlich die Initiative ergriffen und versucht, den Geiselnehmer zu überwältigen. „Ich glaube, dass er einfach nach hinten gestochen hat und ihn ausschalten wollte“, ergänzt die Zeugin auf Nachfrage des Schwurgerichts. Wirklich gesehen habe sie den Angriff auf den Waldkraiburger allerdings nicht. Erneut bricht die Zeugin in Tränen aus: „Ich sitze alleine zu Hause, kann seitdem nichts mehr machen. Mein Leben ist total eingeschränkt“. Diese posttraumatische Belastungsstörung äußere sich in ihrem Fall in erster Linie darüber, dass sie große Angst habe, unter Menschen zu gehen. Weiter schildert die Geschädigte, noch immer enorme Problem im täglichen Leben zu haben.
Pünktlich um 9 Uhr eröffnet der Vorsitzende Richter Volker Ziegler die Verhandlung des Schwurgerichts in der Strafsache des 35-jährigen Mühldorfers. Zunächst verliest die Staatsanwaltschaft die Antragsschrift zur Unterbringung in einer psychiatrischen Fachklinik. Seit der Tat im November 2021 war der Beschuldigte bereits in der Inn-Salzach Klinik in Wasserburg untergebracht.
Laut Antragsschrift leidet der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie. Diese Krankheit äußerte sich bereits vor der Tat in der Art, dass sich der 35-Jährige von der Polizei verfolgt fühlte. Er sei der Ansicht gewesen, auch vom Bundesnachrichtendienst (kurz: BND) ins Visier genommen worden zu sein. Im Wahn habe er eine Servicekraft in der Mühldorfer Spielothek in seine Gewalt gebracht. Als ein Besucher – ein Mann aus Waldkraiburg - eingreifen und dem Geiselnehmer das Messer von hinten kommend entreißen wollte, stach der 35-Jährige mit aller Wucht zu. Den Tod des Mannes soll der 35-Jährige dabei billigend in Kauf genommen haben.
„Manches stimmt, manches stimmt nicht“, erklärt der Beschuldigte nach Abschluss der Verlesung zum geschilderten Sachverhalt. „Klar, ich war betrunken an dem Tag“, ergänzt der 35-Jährige. Er habe sich an dem beschriebenen November-Nachmittag „mit ein paar Bier und einem Küchenmesser in der Tasche“ nach draußen begeben. Zunächst sei er dabei ziellos herumgelaufen. Bereits vor dem Betreten der Spielhalle seien dann plötzlich zwei Polizeibeamte mit auf ihn gerichteten Taschenlampen aufgetaucht.
„Die Beamten sind auf mich zugelaufen (...) Ich wollte keinen Streit. Ich wollte niemanden wirklich verletzen“, fährt der 35-Jährige fort. Er sei in die Spielhalle gelaufen und habe der Servicekraft das mitgeführte Messer lediglich gezeigt. Er habe sie daraufhin aufgefordert, die Tür der Spielhalle zu verschließen. „Sie sollte sich einfach beruhigen. (...) Ich war betrunken und habe nicht nachgedacht“, so der Beschuldigte vor Gericht. Eskaliert sei die Situation erst dann, als die Beamten ihre Waffen auf ihn gerichtet hätten.
Der 35-Jährige fährt fort: „Die haben die Waffen auf mich gerichtet, da bin ich hinter der Frau in Deckung gegangen, mit der Hand auf ihrer Schulter.“ Vom Messerstich gegen den Waldkraiburger will der Beschuldigte nichts wissen; er könne sich schlicht nicht erinnern. „Töten wollte ich auch niemanden! Ich hab noch gesagt, dass die alle rausgehen sollen!“ Und weiter: „Man hat mir kein Gehör verschafft, ich wollte die Dinge da aufklären.“
In der Vergangenheit habe er des Öfteren versucht, Strafanzeige bei der Mühldorfer Polizei zu erstatten – allerdings immer ohne Erfolg. „Deswegen habe ich auch gesagt, dass das keine Polizisten sind. (...) Ich wollte mit dem SEK reden!“ Der Argumentation der Staatsanwaltschaft, dass er sich von der Polizei bewusst vor Ort erschießen lassen wollte, widerspricht der Beschuldigte schließlich. „Ich sehe nicht, dass ich Wahnvorstellungen habe - nur ich habe schlechte Erfahrungen gemacht.“
Vorbericht
Am Dienstag (30. August) beschäftigt sich die 5. Strafkammer unter dem Vorsitz von Richter Volker Ziegler mit der Frage nach einer Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik: Ein 35-jähriger Mühldorfer hatte sich im November 2021 mit einem Messer bewaffnet in eine örtliche Spielhalle begeben. Am frühen Abend dort angekommen, nahm der Mann umgehend eine Servicekraft als Geisel. Der Frau gegenüber gab er an, „heute zu sterben“. Im Folgenden soll der Angreifer seine Geisel in den Schwitzkasten genommen und ihr das Messer an den Hals gehalten haben.
Unmittelbar vor diesen Geschehnissen erreichte die Mühldorfer Polizei bereits der Notruf eines Zeugen. Ein Anrufer gab an, einen sich auffällig verhaltenden und bewaffneten Mann gesehen zu haben. Kräfte der Polizeiinspektion Mühldorf mit Verstärkung durch den zentralen Ergänzungsdienst Traunstein und die Bundespolizei rückten umgehend in Richtung der Spielhalle aus. Dort angekommen, begaben sich mehrere Beamte mit gezogenen Schusswaffen in Richtung Eingangsbereich der Spielhalle. Um das Leben der Geisel zu schützen und den Angreifer nicht weiter zu provozieren, wichen die Polizisten allerdings zunächst zurück.
Auch ein Besucher der Spielhalle wurde auf das Geschehen aufmerksam und beschloss nach dem Eintreffen der Polizei einzugreifen. Als er den Geiselnehmer hinterrücks zu überrumpeln versuchte, stach dieser unvermittelt mit dem Messer nach hinten zu. Dabei verletzte er den Besucher im Bereich des Bauchs schwer. Eine Verletzung, die aus Sicht der Staatsanwaltschaft auch zum Tod des Mannes hätte führen können.
Kurze Zeit später konnte der Geiselnehmer von der Polizei dann festgenommen werden. Er wurde zur vorläufigen Unterbringung in eine Fachklinik eingeliefert. Der verletzte Besucher wurde noch vor Ort erstversorgt und schließlich in einer Klinik notoperiert. Nur durch Zufall sei er mit seinem Leben davongekommen folgerte die Polizei bereits kurz nach dem Vorfall. Im Zuge der Verhandlung am Traunsteiner Landgericht soll nun abschließend die Frage geklärt werden, ob der Angreifer dauerhaft in einer Fachklinik untergebracht werden soll, denn: Für die ausgeübten Straftaten - Geiselnahme, versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung - könne der 35-Jährige aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht regulär verurteilt werden.
*** chiemgau24.de berichtet am Dienstag, 30. August, ab 9 Uhr live und in Ausschnitten aus dem Gerichtssaal. Insgesamt vier Verhandlungstage sind bislang angesetzt.***