Kühe bleiben immer länger auf der Alm – Wanderer zu mehr Achtsamkeit aufgefordert
- VonBarbara Forsterschließen
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Noch geht es für die Kühe nicht nach Hause ins Tal: Obwohl der Sommer vorüber ist, wurde die Abtriebszeit noch nicht auf allen Almen in Samerberg und Umgebung eingeläutet. Deshalb werden Wanderer und Radfahrer weiterhin um Achtsamkeit in den Bergen gebeten.
Samerberg/Chiemgau – Der Sommer ist vorüber und allmählich kehrt Ruhe in den Bergen ein. Mit Ende September, traditionell am Michaelitag am 29. September, wird normalerweise das Ende der Alm-Saison eingeleitet. Aber auf vielen Privatalmen ist das Vieh über den September hinaus noch zugegen. Das Problem: Viele Wanderer und Radfahrer wissen das nicht und lassen zum Teil die Gatter offenstehen.
Estermann fordert mehr Verständnis
Bäuerin Roswitha Estermann, im Vorjahr Initiatorin der Samerberger Landwirtschaftswege „Almen“ und „Tal“, klingt verzweifelt: „Das Offenlasen von Gattern ist ein Teil der Probleme, zuweilen sorgt auch der Nebel dafür, dass wir wegen offengelassener Tore unsere Tiere nur mühevoll und nach Stunden finden.“ Weiter berichtet die Grainbacher Almbäuerin, dass auch immer mehr Radfahrer und Mountainbiker querfeldein rennen und sich um nichts herum kümmern würden. „Was soll ein Bienen-Begehren, wenn deren Befürworter dann so egoistisch unterwegs sind und die heimischen Natur ad absurdum führen?“, echauffiert sich Estermann. Sie fordert mehr Verständnis vonseiten der Leute.
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Auch Jakob Müller, zweiter Vorsitzende des Almwirtschaftlichen Vereins Oberbayern (AVO), betont, dass heuer mehr Leute in den Bergen unterwegs sind. „30 Prozent mehr als sonst“, mutmaßt er. Und viele wüssten eben nicht, dass der Almabtrieb witterungsabhängig sei.
Um zu vermeiden, dass Rinder verletzt oder abgehen, sollten sich Wanderer an einige Regeln halten. Diese wären zum Beispiel, die Rinder in Ruhe lassen, denn die Berge seien „kein Streichelzoo“. Darüber hinaus sollte man möglichst auf den Wanderwegen bleiben und darauf achten, Einzäunungen wie Gatter wieder sorgsam zu schließen, erläutert Müller.
Vor etwa 30 Jahren konnte man davon ausgehen, dass ab dem Michaeli kein Gras mehr auf den Weiden war. Jetzt sei das anders, sagt Müller. Woran das liegt? „An der Erderwärmung“, vermutet der stellvertretende Vorsitzende. Die Weidezeit habe sich um mindestens vier Wochen gestreckt: „Die Saison fängt etwa 14 Tage früher an und hört 14 Tage später auf.“ Ausschlaggebend sei auch die Höhenlage. Auf Niederalmen könne das Vieh theoretisch bis in den November hinein auf den Weiden grasen – sofern die Witterung es zulasse, erklärt Müller.
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Auf Niederalmen sei die Vegetationszeit nicht so kurz wie in höheren Lagen, pflichtet auch Alm- und Kreisbäuerin Katharina Kern bei. Auf den Hochalmen müssten die Tiere jetzt die Weide verlassen, weil es nichts mehr zu fressen gebe. Auf den niedrig angesiedelten Almen hingegen könne man den Almabtrieb noch etwas hinauszögern.
„Wir haben unsere Viecher jetzt noch eine Woche oben“, sagt Kern, die im Sudelfeld auf einem Berghof lebt. Ihre Jungtiere und Milchkühe treibe sie Ende nächster Woche zu Fuß ins Tal. „Wir haben noch einen richtigen Almabtrieb.“
Früher, da sei das „ganz selbstverständlich“ gewesen, das Vieh zu Fuß ins Tal zu treiben. Heute allerdings, überlege man es sich schon dreimal, „ob man sich das antut“, so die Kreisbäuerin. Vor allem, wenn man mit dem Vieh Straßen überqueren müsse.
Vergangenes Jahr wurde Kern von der Polizei darauf hingewiesen, dass der Straßenabschnitt, auf dem ihre Rinder die Straße querten, gesäubert werden müsste. Deshalb kann die Kreisbäuerin verstehen, wenn jemand das Vieh mit dem Laster transportiert. Das sei mit weniger Aufwand verbunden.
Kern möchte altes Kulturgut bewahren
Kern möchte das „alte Kulturgut“ aber bewahren: „Der Almabtrieb ist in unserer Familie ein Festtag“, sagt sie. Wenn Mensch und Tier die Almsaison ohne Schaden überstanden haben, werden die Kühe geschmückt, Schmalznudeln gebacken und zum Abschluss eine deftige Brotzeit hergerichtet. „Das gehört zu unserer Kultur in den Bergen“, so Kern.