Bräuche und Rituale
Bis Heilig Drei König standen auch im Chiemgau Räder still
- VonKlaus Oberkandlerschließen
Kaum zu glauben, dass noch vor weniger als 150 Jahren bei uns Bräuche und Rituale gepflegt wurden, von denen heute kaum noch jemand etwas weiß: In der Zeit „zwischen den Jahren“, also den zwölf Tagen zwischen dem Christtag und Heilig Drei König, war jede Drehbewegung verpönt.
Chiemgau/Prien – Das galt für den Chiemgau und den Rupertiwinkel ebenso wie für das Inntal und weiter nördlich für das Holzland. In den Nächten zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Februar ruhte jede Fehde, es durfte nicht Gericht gehalten werden, und nichts durfte sich drehen. In dieser „Zwölferzeit“ war nämlich jede Tätigkeit verboten, die eine Drehbewegung voraussetzte.
Brauchtum fast in Vergessenheit geraten
Heute ist dieses Brauchtum fast ganz in Vergessenheit geraten. Es wäre auch nicht auf unsere Zeit übertragbar, denn ohne Drehbewegung würde das Leben stillstehen; man denke zum Beispiel nur an Produktionsmaschinen, Autos – oder Küchengeräte. Doch auch früher war das Arbeiten ohne Drehbewegung kaum möglich.
Die Heimatforscherin Franziska Hager, die Lehrerin in Prien war und hier im Jahr 1959 zur Ehrenbürgerin ernannt wurde, berichtet, wie sich zur Zeit „der Zwölfen“ früher keine Spule und keine Spindel bewegt hat. In dem von Hans Heyn zusammengestellten Buch „Drudenhax und Allelujawasser“ wird beschrieben, wie damals die zwölf Tage begangen wurden:
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„Kein Bauer drosch Korn, denn er hätte mit dem Dreschflegel kreisend Schwung holen müssen. Es durfte mit dem Schlitten gefahren werden, nicht aber mit dem Wagen. Es wurde kein Brot gebacken, weil es nicht gesättigt hätte. Nur heimlich wusch da und dort jemand in diesen Tagen die Wäsche. Niemand wagte sie über den Zaun zu hängen. Natürlich gab es wie eh und je Bauersleut, die sehr wohl zwischen Aberglauben und Wirklichkeit zu unterscheiden vermochten. Keiner hat es gewagt, zur Zwölfenzeit Wäsche über den Zaun zu hängen, denn damit war die Vorstellung verbunden, dass im neuen Jahr die Bercht einen aus diesem Haushalt ins Seelenreich holen würde!“
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Man könnte noch viel über Brauchtum heidnischen Ursprungs in den Nächten zwischen den Jahren berichten. Damals ruhte mit dem abendlichen Gebetläuten fast jede Tätigkeit im Haus. Burschen, die zum Fensterln gingen, wurden in diesen Losnächten vom Dirndl aus Angst abgewiesen.
In den Wirtsstuben wurde kein Kartenspiel angerührt. Heute erscheint solches Brauchtum als Überbleibsel aus dem Mittelalter. Es ist kaum zu glauben, dass es noch nicht einmal eineinhalb Jahrhunderte her ist, dass es zumindest auf dem Lande noch gepflegt wurde.
Zu verdanken haben wir der Heimatschriftstellerin Franziska Hager nicht nur solche Erinnerungen an eine längst vergessen geglaubte Zeit. Sie lernte den Beruf der Schneiderin, wurde dann Volksschullehrerin und unterrichtete viele Jahre in Prien. Franziska Hager schrieb zunächst Dramen und Gedichte.
Kulturgeschichte nie veröffentlicht
Größere Bekanntheit erwarb sie sich in den 1920er Jahren mit autobiographischer Prosa (Der Dorfschullehrer 1923, Schulmeisterkinder 1929) sowie mit heimatkundlichen und kulturgeschichtlichen Werken wie An der Herdflamme der Heimat (1927). Ihr Hauptwerk, eine 2000 Seiten umfassende volkskundliche Kulturgeschichte des Chiemgaus, an dem sie fast zehn Jahre lang schrieb, wurde nicht veröffentlicht.
1958 bekam Franziska Hager das Bundesverdienstkreuz am Bande, 1959 erhielt sie den Ehrenring der Stadt Traunstein und im gleichen Jahr die Ehrenbürgerschaft in Prien.