Nach Lawinendrama in Gerlos mit zehn Toten
Warum plötzlich die Bad Aiblinger Polizei an Elfriede Urschers Haustür klingelte
- VonNorbert Kotterschließen
Zehn Mitglieder der Alpenvereinssektion Bad Aibling verloren am 4. Februar 1973 bei einem Lawinendrama in Gerlos im Tiroler Zillertal ihr Leben. Zeitzeugen erinnern sich, wie die Tragödie damals die ganze Stadt erschüttert hat.
Bad Aibling/Gerlos - Elfriede Urscher wird dieses Klingeln an ihrer Haustür nie vergessen. Am Unglückstag, ein Sonntag, stand nachmittags plötzlich die Polizei vor ihrer Tür. Die Frau des Busunternehmers Hans Urscher, heute 84 Jahre alt und damals hochschwanger, dachte im ersten Moment, ihr Mann könnte mit einem Reisebus der Firma in einen Unfall verwickelt gewesen sein. Die Beamten berichteten ihr von dem Unglück im Zillertal und fragten nach, ob die Tourengeher mit einem Urscher-Bus nach Gerlos gefahren waren.
Sohn heute beim Alpenverein
Sie konnte der Polizei bei ihren Recherchen nicht weiterhelfen, denn die Tourengeher waren mit dem Bus einer anderen Firma unterwegs gewesen. Am 23. März 1973 kam dann ihr Sohn zur Welt, der heute Mitglied bei der Alpenvereinssektion Bad Aibling ist. „Diese furchtbare Tragödie hat mich tief erschüttert, auch wenn ich nicht allzu viele der Opfer persönlich gekannt habe“, so Urscher.
Ein einschneidendes Erlebnis für die ganze Stadt
Altbürgermeister Dr. Werner Keitz war damals ein junger SPD-Stadtrat und nahm in dieser Eigenschaft an der Trauerfeier für die Verstorbenen in der Turnhalle an der Jahnstraße teil. „Die Bilder von dieser Feier haben sich bis heute tief in meinem Gedächtnis eingebrannt“, sagt er. Das Drama sei nicht nur für den örtlichen Alpenverein, sondern für die ganze Stadt „ein einschneidendes Erlebnis“ gewesen. Keitz (Er bat darum, auf die Veröffentlichung eines Porträtbildes zu verzichten) spricht von einer „ungeheuer bewegenden Trauerfeierlichkeit“ für die Lawinenopfer. „So etwas habe ich mein ganzes Leben lang nicht mehr erlebt.“
Sein Amtsnachfolger Felix Schwaller, heute ebenfalls Altbürgermeister, versah zum Zeitpunkt des Unglücks gerade seinen Wehrdienst in Brannenburg. Dennoch hat auch er die tiefe Erschütterung mitbekommen, die das Drama in der Stadt hervorgerufen hat. „Man hat die Leute ja gekannt“, so Schwaller. Das Unglück sei ein „herber Einschnitt“ im Leben vieler Aiblinger Familien gewesen.
Tagelang Stadtgespräch
Geistlicher Rat Hans Holzner, heute 89 Jahre alt und zum Unglückszeitpunkt Kaplan in der Pfarrgemeinde Mariä Himmelfahrt in Bad Aibling, erinnert sich noch gut, dass das Geschehen tagelang Stadtgespräch war. Eine Frage sei dabei immer wieder aufgetaucht. „Wie konnte das passieren?“ Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass es sich bei den Opfern um erfahrene Bergwanderer gehandelt habe. Auch an der Beerdigung der Todesopfer aus der Pfarrei nahm Holzner teil. „Der Friedhof war sehr voll, es herrschte große Trauer“, berichtet der Pfarrer.
Marlene Liegl saß 1973 erst kurze Zeit für die CSU im Stadtrat und nahm ebenfalls an der Trauerfeier in der Turnhalle teil. „Wir waren alle sehr geschockt. Für mich und wohl alle meiner Kollegen war das der schlimmste Termin während meiner ganzen kommunalpolitischen Tätigkeit“, sagt sie rückblickend.
Der Helmut war kein Draufgänger
Der ehemalige Landtagsabgeordnete Sepp Ranner erlebte das Lawinenunglück „als Schock für die ganze Stadt“. Der Tod von Tourenleiter Helmut Maier, der Leiter des Bad Aiblinger Forstamtes war, hat ihn persönlich schwer getroffen. Maier beriet Ranner, der damals noch als Landwirt beruflich tätig war, in Fachfragen. „Er war ein hervorragender und sehr praxisbezogener Berater, der die Bauernseele verstanden hat“, sagt er über ihn.
Auch er kennt die Vorwürfe, die nach dem tragischen Geschehen an seine Adresse gerichtet wurden. An Leichtsinn als Unfallursache, der Maier unterstellt wurde, glaubt er bis heute nicht. „Der Helmut war kein Draufgänger Im Gegenteil, er war ein sehr besonnener Mann.“
Sepp Glaser, zum Zeitpunkt des Unglücks ein junger Feuerwehrmann und später vom 1. Januar 1984 bis zum 1. Januar 1996 Kommandant der Bad Aiblinger Floriansjünger, wurde an jenem Sonntag in den Abendstunden zu einem nicht alltäglichen Einsatz gerufen. Die Feuerwehr wartete zusammen mit der Polizei bei der Kreuzung in Pullach (Anmerkung der Redaktion: Der heutige Pullacher Kreisel) und leitete den Bus, der die Überlebenden zurück nach Bad Aibling brachte, zur Ausstellungshalle um.
Ja, das hat an einem genagt.
Ursprüngliches Ziel sei das Rathaus gewesen. Da dort aber bereits ein großer Menschenauflauf geherrscht habe, habe man die Rückkehrer davor schützen wollen - vor allem auch vor den wartenden Journalisten. Deren Zahl war im Verlauf des Abends stetig gestiegen. Als Vertreter der Feuerwehr war er auch bei der Trauerfeier in der städtischen Turnhalle dabei. „Das Leid der Menschen und das Bild der aneinandergereihten Särge haben mich tief berührt. Ja, das hat an einem genagt“, weiß Glaser noch heute.
Die Alpenvereinssektion Bad Aibling erinnert am morgigen Samstag, dem 50. Jahrtag des tragischen Geschehens, in einem Gottesdienst in der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt an die Toten des Lawinendramas. Er beginnt um 18 Uhr, ursprünglich war fälschlicherweise von 19 Uhr die Rede.