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Keine Heizung, kein Wasser und ein Weihnachts-Wunsch: Bettina und Peter suchen ein Zuhause

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Von: Jörg Eschenfelder

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Sie wohnen derzeit in Waldkraiburg einem Abbruchhaus ohne Heizung und Wasser, machen niemandem Vorwürfe und hoffen auf einen Neuanfang für ihr gemeinsames Leben.
Sie wohnen derzeit in Waldkraiburg in einem Abbruchhaus ohne Heizung und Wasser, machen niemandem Vorwürfe und hoffen auf einen Neuanfang für ihr gemeinsames Leben. © Eschenfelder

Das Leben hat zwei Waldkraiburgern nichts geschenkt. Trotzdem lassen sie sich nicht unterkriegen und haben nur einen Wunsch.

Waldkraiburg – Sie klagen nicht, sie jammern nicht. Sie sitzen ruhig, nachdenklich, teilweise in sich versunken im Wohnzimmer von Elsbeth und Joachim Grytzyk:  Bettina (34) und Peter (57), die ihren Namen und ihr Bild nicht in der Zeitung sehen wollen. Ihr Schicksal, ihre verzweifelte Lebenssituation ist ihnen nicht anzusehen.

Sie wollen den Teufelskreis ihres Lebens durchbrechen

„Wir suchen ein Zuhause“, wünscht sich Bettina mit leiser Stimme und umfasst die Tasse mit dem heißen Tee. „Wir wollen einfach eigene vier Wände und das Gefühl haben, nach Hause zu kommen.“ Das ist alles, was sie brauchen, um ihren Teufelskreis zu durchbrechen, um endlich wieder dauerhaft auf die Füße zu kommen – nach all den Tritten, die sie im Leben erfahren haben.

Derzeit leben sie im Dachgeschoss eines Hauses, das im Frühjahr abgerissen werden soll. Der Eigentümer hat ihnen das erlaubt. Sie sind dankbar, auch wenn sie in der Wohnung den eigenen Atem sehen. Es gibt keine Heizung und kein fließendes Wasser. Die provisorische Zuleitung ist zugefroren. 

„Wir erfrieren nicht“ - „Nein, wir erfrieren nicht“

Bettina drückt die Wärmflasche an ihren Körper, Peter hat eine Steppweste an. Sie beklagen sich nicht. Die Wohnung ist gepflegt, sauber und aufgeräumt. „Der Wasserkocher läuft ununterbrochen“, sagt Bettina. Die Toilette wird von Hand gespült, gewaschen wird mit kaltem Wasser. „Wir erfrieren nicht“, sagt Peter. „Nein, wir erfrieren nicht“, stimmt Bettina zu.

Die Lebensgeschichte von Bettina und Peter ist eine Geschichte voller Tritte des Lebens, voller Traumata: „Meine Mutter wollte mich eigentlich abtreiben“, Missbrauch durch den eigenen Bruder und andere, Ehebruch, Morddrohungen des Ex-Mannes, Scheidungen, Drogen, Zusammenbrüche und Suizidversuche, um nur einige zu nennen. Alles überstanden, durchgestanden, auch wenn die Folgen geblieben sind. „Wir leben seit Jahren in Angst“, so Peter. „Das sind Sachen, die wir nicht mehr ablegen können. Wir können nicht mehr auf den Tisch hauen. Wir versuchen, uns gegenseitig zu unterstützen und aufzubauen.“ Vor sechs Jahren haben sie sich in der Psychiatrie kennengelernt; seitdem sind sie ein Paar.

Im Sommer 2021 sah es in Waldkraiburg nach einem Neubeginn aus

Der Neubeginn sollte eigentlich in Waldkraiburg geschehen. Hier haben sie im Sommer 2021 einen Neuanfang versucht - und schienen Glück zu haben. Sie fanden ein Monteurzimmer, Bettina konnte hier stundenweise putzen, Peter machte den Hausmeister. Doch der Vermieter zahlte nur stockend, kassierte monatlich 650 Euro für das Zimmer, musste selber vor Gericht und schmiss sie während ihres Urlaubs im September dieses Jahres mal wieder raus. „Diesmal hat er es ernst gemeint“, so Bettina.

In die Obdachlosenunterkunft wollten sie nicht. Also in Hotels, bis das Geld alle war. Zwei Tage lebten sie auf der Straße, sahen sich dann wieder die Obdachlosenunterkunft in der Schichtstraße an. Die Zustände: unzumutbar, dreckig, wie sie mit Fotos belegen. Die Tür war bereits mehrfach eingetreten, nicht abschließbar. „Mit den Ängsten könnte ich auch nicht in einer Wohnung leben, die man nicht abschließen kann“, kann Elsbeth Grytzyk die beiden verstehen. Und so bezogen sie das Dachgeschoss im Abrisshaus.

Kein Gefühl der Sicherheit: Die Wohnungstür in der angebotenen Obdachlosen-Unterkunft war schon mehrfach aufgebrochen; andere Türen waren versiegelt.
Kein Gefühl der Sicherheit: Die Wohnungstür in der angebotenen Obdachlosen-Unterkunft wurde schon mehrfach aufgebrochen; andere Türen waren versiegelt. © privat / Collage: Eschenfelder

„Auf dem normalen Wohnungsmarkt haben wir keine Chance“

Seit dem stecken sie fest. „Auf dem normalen Wohnungsmarkt haben wir keine Chance“, sagt Peter. Sie hätten beide Schulden. Die Forderungen des täglichen Lebens „haben uns einfach überrollt und sich aufgetürmt.“ 

Brand in Wohnblock in Waldkraiburg
In dem Wohnblock in der Schichtstraße, in dem auch Wohnungen für Obdachlose untergebracht sind, brannte es im Mai. Die Folgen sind heute noch im Hausgang zu sehen. © fib / MK

Er ist Frührentner, bekommt monatlich 900 Euro. Sie ist gelernte Köchin, hat 13 Jahre in einer Reha-Einrichtung gearbeitet, später auch in der Pflege, hat sich im Oktober beim Arbeitsamt gemeldet - und bis heute kein Geld bekommen, weil der alte Arbeitgeber die erforderliche Bescheinigung einfach nicht ausgefüllt hat. „Das Jobcenter kann erst nach Weihnachten gegen ihn vorgehen“, erzählt Bettina. Seit Oktober ist sie ohne Einkommen.

Auch eine Sozialwohnung bekommen sie nicht. Die sind alle voll und sie haben keinen Wohnberechtigungsschein. Dafür fehlt es am Nachweis, dass sie kein Einkommen haben und dass sie seit sechs Jahren zusammen leben. „Wir sollen alle Scheidungsurkunden und Bescheinigungen der Einwohnermeldeämter vorlegen.“

„Wir machen niemanden verantwortlich“

Trotzdem betont Peter: „Wir machen für unsere Situation niemanden verantwortlich.“ Sie sind nicht verbittert. Sie geben niemandem die Schuld. „Wir hoffen einfach auf Hilfe. Wir haben Angst, wie lange wir das noch ertragen.“ Hilfe, in Form einer Wohnung, einem Ort, um neu zu beginnen.

Nicht einladend: Das Bad in der angebotenen Obdachlosen-Unterkunft.
Nicht einladend: Das Bad in der angebotenen Obdachlosen-Unterkunft. © privat

Elsbeth und Joachim Grytzyk, die sich in der Waldkraiburger evangelischen Gemeinde engagieren, machen sich für die beiden stark. „Das sind sympathische, offene und unkomplizierte Menschen“, so Joachim Grytzyk. „Sie sind zuverlässig und liebenswert“, ergänzt Elsbeth. „Ich kann sie nicht mehr loslassen.“ 

„Das sind Menschen, mit denen wir gerne Umgang habe“

Joachim Grytzyk ist von den beiden überzeugt: „Wir sind alt und haben schon mit vielen Menschen zu tun gehabt und ein Gefühl und Gespür für Menschen entwickelt. Unser Gefühl hat uns gesagt, das sind Leute, mit denen wir gerne Umgang haben.“ 

Und so sitzen Bettina und Peter in ihrer Dachgeschoss-Wohnung und hoffen, dass sie mal wieder Glück haben - und möglichst bald und unbürokratisch ein neues Zuhause bekommen, in dem sie Sicherheit und Geborgenheit finden, von dem aus sie einen Neuanfang machen können: ein Zuhause, das der Beginn für einen Neuanfang werden kann. Peter: „Wir wollen zur Ruhe kommen. Wir wollen niemandem etwas Böses und stellen keine großen Ansprüche. Wir haben es gelernt, uns einzuschränken.“

Obdachlose und ihre Unterkunft

Zurzeit gibt es für Obdachlose in Waldkraiburg, so die Stadtverwaltung, vier Wohnungen mit zwei Zimmern und drei Wohnungen mit jeweils einem Zimmer. Davon ist eine Wohnung mit zwei Zimmern aktuell nicht benutzbar. Zusätzlich gibt es noch einen sogenannten Kälteschutz, in diesem kann die Polizei Obdachlose, die sich abends melden, über die Nacht kurzfristig unterbringen. Die Wohnungen sind in der Stadt auf drei Obdachlosenunterkünfte verteilt.

In den Unterkünften der Stadt Waldkraiburg waren Mitte Dezember 14 Personen untergebracht. Insgesamt waren es dieses Jahr bereits 25 Personen. Im Schnitt verbleiben die Obdachlosen 19 Wochen in den Unterkünften.

Es wird unterschieden zwischen: Obdachlose ohne Unterkunft (Obdachlose, die freiwillig ohne Unterkunft auf der Straße leben), verdeckte Obdachlose (Obdachlose, die zum Beispiel bei Freunden und Familie wohnen) sowie Obdachlose mit Unterkunft (Obdachlose, die obdachlosenrechtlich in Unterkünften der Stadt untergebracht sind). Die Zahl der ersten beiden Kategorien lässt sich nicht erfassen. Im aktuellen Wohnungslosen-Bericht der Bundesregierung wird von 37.400 Personen ohne Unterkunft und 49.300 verdeckten Obdachlosen im gesamten Bundesgebiet ausgegangen.

Quelle: Stadt Waldkraiburg

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