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Prozess um Waldkraiburger Anschlagsserie ab März ist „wichtiger Schritt“ für Betroffene

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Von: Hans Grundner

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Eine Rohrbombe, die im Frühjahr 2020 in einem Waldkraiburger Obst- und Gemüseladen gezündet wurde, löste einen Großbrand aus.
Eine Rohrbombe, die im Frühjahr 2020 in einem Waldkraiburger Obst- und Gemüseladen gezündet wurde, löste einen Großbrand aus. © Eß

Die Anschlagsserie im Frühjahr 2020 hat die Menschen in Waldkraiburg und in der ganzen Region erschüttert. Jetzt beginnt die juristische Aufarbeitung, die Bewertung der Taten, die dem Angeklagten Muharrem D. von der Bundesanwaltschaft zur Last gelegt werden. Am 2. März wird der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) München das Hauptverfahren gegen den zur Tatzeit 25-jährigen Mann eröffnen. Das hat das OLG jetzt bekannt gegeben.

Waldkraiburg/München – Insgesamt hat das Gericht bis 31. August nicht weniger als 44 Hauptverhandlungstermine im Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße angesetzt. Das unterstreicht die Bedeutung des Verfahrens, das aus Sicht der Menschen in Waldkraiburg, die über Wochen in Angst lebten, ganz gewiss als Prozess des Jahrzehnts gelten kann. Die öffentlichen Sitzungen werden – auch wegen Corona – unter großen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden.

Mehr als ein halbes Jahr nach der Festnahme des deutschen Staatsbürgers muslimischen Glaubens, der in Altötting geboren wurde, hatte die Bundesanwaltschaft am 8. Dezember Anklage erhoben. 31-fachen versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung, diverse Brandstiftungsdelikte, die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat wirft die Ermittlungsbehörde Muharrem D. vor, darüber hinaus Verstöße gegen Waffen- und Sprengstoffgesetze.

Radikalisierung des mutmaßlichen Täters von Waldkraiburg

Nach Überzeugung der Ankläger hatte D. seit 2017 einen Prozess der religiösen Radikalisierung durchlaufen. Er sei zum „Anhänger eines islamistisch-jihadistischen Weltbildes“ geworden, so die Bundesanwaltschaft. Ohne Erfolg habe er versucht, Kontakt zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ aufzunehmen.

Alle Artikel zur Anschlagsserie von Waldkraiburg und zur Gerichtsverhandlung finden Sie auf unserer OVB-Themenseite

Der junge Mann, dessen Eltern aus der Türkei stammen, habe zudem wegen der Rolle des türkischen Staates im Syrienkonflikt und des Umgangs mit bestimmten Predigern Hass auf die Türkei und Menschen türkischer Abstammung entwickelt. Deshalb habe er die Anschläge auf Bürger türkischer Herkunft in Waldkraiburg verübt, mit dem Ziel, eine Spirale der Gewalt und Gegengewalt herbeizuführen.

Rohrbombe in türkischem Geschäft

Als er am 27. April gegen 3 Uhr in der Nacht eine Rohrbombe in einem türkischen Obst- und Gemüsehandel im Zentrum gezündet habe, habe der Angeklagte den Tod von 26 Bewohnern, die in ihren Wohnungen schliefen, billigend in Kauf genommen. Vor und nach diesem Anschlag hatten sich drei weitere nächtliche Angriffe und Beschädigungen türkischer Geschäfte und Lokale ereignet, die ihm ebenfalls angelastet werden. Wie spätere Ermittlungen ergaben, soll der 25-Jährige bereits am 2. April versucht haben, zuerst die Moschee der Ditib-Gemeinde, dann das Wohnhaus des Imam in Brand zu setzen, der dort mit Frau und drei Kindern lebt.

Nach seiner Festnahme am 8. Mai am Mühldorfer Bahnhof soll sich der mutmaßliche Attentäter in Vernehmungen selbst als „Bombenleger von Waldkraiburg“ bezeichnet haben. Die Ermittler entdeckten in seinem Gepäck zehn Rohrbomben und 23 Kilogramm Sprengmaterial. Bei Durchsuchungen seines Fahrzeugs in Garching/Alz, wo er aufgewachsen war, und seiner Wohnräume in Waldkraiburg wurden laut Bundesanwaltschaft weitere 13 Rohrbomben und mehrere Kilogramm sprengfähige Substanzen sichergestellt.

Waldkraiburger Bürgermeister sieht Prozess als Aufarbeitung

Damit und mit einer halbautomatischen Pistole soll der Angeklagte, der seit der Festnahme in Untersuchungshaft sitzt, weitere Anschläge geplant haben, auf mehrere Moscheen des türkisch-islamischen Dachverbands Ditib im näheren Umkreis von Waldkraiburg, auf das türkische Generalkonsulat in München und die Ditib-Zentralmoschee in Köln. Die Imame habe er bei diesen Angriffen erschießen wollen.

Der Waldkraiburger Bürgermeister Robert Pöztsch sieht den Prozess als wichtigen Schritt, um die Geschehnisse zu verarbeiten.
Der Waldkraiburger Bürgermeister Robert Pöztsch sieht den Prozess als wichtigen Schritt, um die Geschehnisse zu verarbeiten. © Grundner

Das Strafverfahren, das am 2. März beginnt, wird in Waldkraiburg mit großer Spannung erwartet. „Der Gerichtsprozess ist für alle Betroffenen ein weiterer Schritt, um die Geschehnisse aufzuarbeiten“, sagt Bürgermeister Robert Pötzsch. Er sei dankbar, so Pötzsch, das „aufgrund der guten Zusammenarbeit zwischen den Ermittlungsbehörden“ schnell ein mutmaßlicher Täter gefasst worden sei und zur Rechenschaft gezogen werden könne. „Ich vertraue auf das deutsche Rechtssystem und hoffe auf ein Urteil, dass uns zeigt, dass solche Taten keinen Platz in unserer Gesellschaft haben.“

So schlimm die Ereignisse waren, wichtig ist dem Bürgermeister vor allem diese Erfahrung: „Wir sind eine multikulturelle Stadt mit Menschen aus verschiedenen Nationen, die hier seit Jahrzehnten friedlich miteinander leben. Unser Zusammenhalt im letzten Jahr hat gezeigt, dass niemand diesen Kern unseres Zusammenlebens zerstören kann.“

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