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Jahresrückblick 2021

Neuneinhalb Jahre Haft – Im Juli endet Prozess gegen den „Bombenleger von Waldkraiburg“

Ermittler sichern nach dem Brand am Sartrouville-Platz Spuren. Kurze Zeit nach dem Anschlag auf ein türkisches Lebensmittelgeschäft wird der Täter gefasst, von März bis Juli dauert der Prozess am Oberlandesgericht.
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Ermittler sichern nach dem Brand am Sartrouville-Platz Spuren. Kurze Zeit nach dem Anschlag auf ein türkisches Lebensmittelgeschäft wird der Täter gefasst, von März bis Juli dauert der Prozess am Oberlandesgericht.
  • Raphaela Lohmann
    VonRaphaela Lohmann
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Zwei Wochen lang hatte eine Anschlagsserie im Jahr 2020 die Stadt Waldkraiburg in Atem gehalten. Im Jahr 2021 konnte man mit den Anschlägen auf türkische Läden und dem Brandanschlag am Sartrouville-Platz damit abschließen. Zumindest juristisch.

Waldkraiburg – Denn bei den Betroffenen sind auch nach dem Urteil gegen Muharrem D. Fragen offen.

Die Ereignisse in der Nacht vom 27. April 2020 haben bei den Bewohnern tiefe Wunden hinterlassen. Noch heute tragen sie das Erlebte mit sich rum, plagen sich mit Schlafstörungen und leiden unter Angststörungen. Wie es den Bewohnern geht, wie sich fühlen, wird am Oberlandesgericht deutlich. Dort startet im März der Prozess gegen Muharrem D., der auf drei türkische Läden Anschläge verübte und einen Brandanschlag auf einen Lebensmittelladen am Sartrouville-Platz. Die Liste der Anklageschrift ist lang: Versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung, versuchte Brandstiftung, Verstoß gegen das Waffengesetz sowie die Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat.

Als vor Gericht auch Feuerwehrleute aussagen, wird deutlich, wie schwierig der Einsatz war, welche Wucht das Feuer entwickelt hatte. Einige Bewohner konnten sich selbst ins Freie retten, drei Menschen mussten mit einer Fluchthaube nach draußen gebracht werden. Eine Frau wurde mit der Drehleiter aus ihrer Wohnung gerettet. Einen Rollstuhlfahrer mussten sie in der Wohnung so lange betreuen, bis man ihn abtransportieren konnte.

Auch die Gesinnung und was Muharrem D. zu seinem Handeln veranlasst hat, versucht man, vor Gericht herauszufinden. Schon zuvor war bekannt, dass der 26-Jährige von einem Hass auf Türken getrieben war. Er habe einen Prozess der religiösen Radikalisierung durchlaufen wurde Anhänger eines islamistisch jihadistischen Weltbildes sowie der terroristischen Vereinigung ‚Islamischer Staat‘, wie die Bundesanwaltschaft zu einem früheren Zeitpunkt bekannt gab.

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Zum Prozessauftakt gibt sich Muharrem D. reumütig, entschuldigt sich knapp bei seinen Opfern. Wieso er sich radikalisierte, dazu konnte selbst er vor Gericht keine genaue Aussage treffen. Gegenüber der Polizei wurde er deutlicher, wie aus den Vernehmungsvideos vor Gericht zu sehen war: Er habe sich zunehmend mehr mit dem Islam befasst, sei immer gläubiger geworden, bis er 2017 zum Islamischen Staat gekommen sei. Durch viele Videos aus dem Internet hätte er sich radikalisiert. Über‘s Internet besorgte er sich auch eine Waffe, hatte zuletzt zehn Anschlagsziele im Visier, darunter die Moschee in Köln. „ Da sollte ja auch nichts mehr stehen“, sagte er, weil er dort nach eigenen Angaben zehn Kilo Nitroglycerin zünden wollte.

Psychiater bescheinigt dem Angeklagten, an Schizophrenie zu leiden

Im Laufe des Prozesses wird auch klar: Muharrem D. soll nach seiner Haftstrafe in einer Psychiatrie untergebracht werden. Diese Empfehlung sprach ein Psychiater dem Gericht aus. Denn Muharrem D. soll an Schizophrenie leiden, aufgrund derer er die Menschen in dem Haus am Sartrouville-Platz nicht im Blick gehabt hätte.

Die Frage nach dem Grund für die Radikalisierung bleibt unbeantwortet

Das Oberlandesgericht München spricht ihn Ende Juli des versuchten Mordes in 31 Fällen für schuldig, verurteilt ihn zu neuneinhalb Jahren und ordnet seine Unterbringung in der Psychiatrie an. Doch auch nach dem Urteil im Juli bleiben Fragen offen: Beim Gericht und den Bewohnern des Hauses am Sartrouville-Platz.

„Wie kann es sein, dass ein junger Mann, der durchweg als zurückhaltend, zuvorkommend und freundlich geschildert wird, derartige Taten begehen kann?“, fragt der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht München. Wie konnte sich jemand so radikalisieren, der gut integriert war, der ein begeisterter Fußballspieler war, der seine Schulausbildung und auch seine Berufsausbildung ohne nennenswerte Schwierigkeiten abgeschlossen hatte? Antworten darauf gibt es im Prozess nicht.

Es bleibt die Unsicherheit

Und bei den Betroffenen bleiben nach dem Urteil ebenfalls Fragen offen. Für den Gemüsehändler ist nach wie vor offen, ob Muharrem D. tatsächlich als Einzeltäter gehandelt hat. In diesem Punkt ging ihm der Prozess nicht weit genug. Es bleibt auch die Unsicherheit, wie es mit Muharrem D. weitergehe, wenn er entlassen werde. „Wer garantiert, dass es nach seiner Entlassung aus der Psychiatrie nicht noch einmal passiert?“, fragt sich Hasan Cavus. Seinem Kepabhaus galt der vierte und letzte Anschlag in Waldkraiburg.

Nach dem Urteil kann wieder Ruhe in Waldkraiburg einkehren

Dass die Stadt nach dem Urteil nun endlich mit dem Brandanschlag abschließen kann, davon ist Bürgermeister Robert Pötzsch (UWG) überzeugt. „Das Urteil zeigt, dass für solche Taten kein Platz ist.“

Für die Bewohner des Hauses am Sartrouville-Platz gibt es endlich eine Rückkehr. Zehn Monate nach dem Brandanschlag können sie wieder in ihre Wohnungen zurückkehren. Der Obst- und Gemüsehändler, dem der Anschlag gegolten hat, eröffnet im Oktober wieder seinen Laden in den alten Räumlichkeiten.

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