Mit Maß und Ziel
Mit Holzkugeln durch Neumarkt-St. Veit: Beim Pagalosto wird die ganze Stadt zum Spielplatz
- VonJosef Enzingerschließen
Der Verein „Pro Castello di Caneva“ hat vor vielen Jahren „Pagalosto“, eigentlich ein nordeuropäisches Spiel, wieder ins Leben gerufen. Der Freundeskreis Caneva hat das Spiel nach Neumarkt gebracht, führt einmal im Jahr quasi die inoffizielle Stadtmeisterschaft durch. Darum geht es bei Pagalosto.
Neumarkt-St.Veit – „Venga Bobby!“, ruft Egbert Windhager in die illustre Runde im Schloss zu Adlstein. Kurz darauf wirft er seine Holzkugel in Richtung Daube, die er vorher knapp zwölf Meter entfernt weggeworfen hatte. Der Wurf war gar nicht so schlecht, der Vorsitzende des Freundeskreises Caneva kommt der Daube ziemlich nah. Die Spieler, die auf ihn folgen, müssen nun die Entfernung seiner Holzkugel unterbieten.
Ohne „Venga“ gibt es einen Strafpunkt
Bei Pagalosto handelt es sich um eine Form von Boccia oder Boule. Jeder Spieler bekommt eine handtellergroße Holzkugel, keine 200 Gramm schwer aus Zirbenholz. Damit muss es versuchen, einer schwarzroten kleineren Kugel, im Eisstockschießen als Daube bekannt, am nächsten zu kommen. Der Gewinner bekommt einen Pluspunkt und darf die nächste Runde eröffnen. Die drei am weitesten von der Daube entfernten Holzkugeln ernten jeweils Minuspunkte.
Gespielt wird dort, wo die Kugel hinrollt
Der Clou: Es gibt keine feste Spielstätte. Gespielt wird dort, wohin der Gewinner einer Runde die Daube als Nächstes wirft. Das kann ein Vorgarten sein, eine Brücke, ein Feldweg – was auch immer. Je unwegsamer das Gelände, umso größer der Spaßfaktor. Der Verein „Pro Castello di Caneva“ hat vor vielen Jahren dieses nordeuropäische Spieler wieder ins Leben gerufen. Der Freundeskreis Caneva hat das Spiel nach Neumarkt gebracht, führt einmal im Jahr quasi die inoffizielle Stadtmeisterschaft durch.
In erster Linie geht es um die Gaudi
Beim 4. Pagalosto geht es in der Rottstadt zwar um Präzision – in erster Linie aber um die Gaudi. Und die haben die 16 Mitspieler, die sich an diesem Samstag im Schlosspark versammelt haben. Ein erstes Schmunzeln gibt es bereits beim Durchlesen des strengen Regelwerks. Auf zwei DIN A 4-Seiten sind die 22 Paragrafen aufgelistet, an die es sich zu halten gilt. Festgelegt ist zum Beispiel, dass stets der älteste Spieler das „Kugelwerfen“ beginnt. Das tut er, indem er einmal laut „Pagalosto“ ruft. Dann bestimmt der Werfer jeweils den nachfolgenden Spieler, indem er das „Venga“ mit dem Vornamen des nachfolgenden Spielers ruft. Vergisst er dies: Strafpunkt.
Bobby Gruber hat das beste Auge
Auch derjenige, der natürliche Hindernisse – Äste Steine, Gräben – nicht überwinden kann, bekommt Strafpunkte. Und der Letzte einer jeden Runde ist verpflichtet, diese mit einem „Pagalosto“-Ruf zu kennzeichnen. Vergisst er dies, notiert Schriftführerin Rosmarie von Roennebeck erneut akribisch genau die Minuspunkte.
Diskussionen und Schlägereien sind tabu
Diskussionen sind tabu. Etwa zum Spielverlauf und gegenüber Mitspielern, Auch Schlägereien und Unfrieden sind nicht gestattet, wie es im letzten Paragrafen heißt. Fluchen oder Schmipfen ebenso.
Jeder, der dagegen verstößt, zahlt eine Strafe von 50 Cent. Abgerechnet wird zum Schluss. Das Geld ist für die Verpflegung während des Pagalosto bestimmt. Wenn etwa zur Hälte der Spielzeit zu Kaffee und Kuchen gebeten wird.
Oder ziemlich am Ende. Wenn Rottweg, Brücke und Sandweg hinter den Spielern liegen, am Herzoglichen Kasten Maß genommen wird und gleichzeitig sommerliche Kaltgetränke bereitgestellt werden.
Und der Schiedsrichter hat immer recht
Für die gesamte Dauer des Spiels gilt übrigens: „Der Schiedsrichter hat immer recht.“ Ihm obliegt es auch, festzustellen, wann es zu dunkel ist, um das Spiel fortzusetzen. „In Italien beginnt das Pagalosto bereits mittags und geht durch den gesamten Ort – bis es tatsächlich dunkel ist“, weiß Rosmarie von Roennebeck von ihren Besuchen aus Caneva. Und der italienische Eisdielenbesitzer Fabrizio Chinarello aus Neumarkt-St. Veit meint sogar, den Ursprung des Spiels zu kennen: „Pagalosto hat man früher mit Neubürgern gespielt, damit die den Ort kennenlernen.“
Der jüngste Spieler ist zehn, der älteste 69
Den Ort kennen die meisten bereits. Und so steht der Spaß im Vordergrund, wenn etwa der Jüngste der Spielrunde, der zehnjährige Mattis Thienelt genau Maß nimmt, bevor er die Holzkugel wirft. „Macht schon Spaß. Das ist ja fast wie Boccia“, sagt er.
Auch Schadenfreude gehört dazu
Alle Mitspieler sind mit Feuereifer bei der Sache. Ein Raunen geht durch die Menge, wenn die Kugel die Daube knapp verpasst. Schadenfreudiges Lachen flammt auf, wenn die Kugel im Graben landet. Genau wird darauf geachtet, dass sich auch jeder ans Protokoll einhält.
Und der zweite Bürgermeister nimmt genau Maß
Der Älteste im Bunde ist Zweiter Bürgermeister Egbert Windhager mit 69 Jahren. Er leitet auch das Spiel, achtet darauf, dass die Regeln beachtet werden. Quasi als „Moar“ mit Stock ausgestattet, muss er einige Male die Messlatte anlegen, um zu bestimmen, welche Kugel der Daube am Nächsten ist.
Am Ende siegt ein Stadtrat
Derjenige, der das mit dem Kugelwerfen an jenem Samstag am besten gemacht hat, war CSU-Stadtrat Peter „Bobby“ Gruber. Er hat das Pagalosto als erster Spieler begonnen und am Ende auch gewonnen. „Venga, Bobby!“