Keine Volksfeste, keine Einnahmen bis September: Schausteller-Familie spricht von Totalschaden
Corona-Krise zur besten Volksfestzeit mit katastrophalen Folgen für die Inhaber von Fahrgeschäften: Wie die Familie Zinnecker aus Neumarkt-St. Veit mit den Absagen von Großveranstaltungen lebt.
Von Josef Enzinger
Neumarkt-St. Veit – „Kommse rin, kommse ran. Fahrchips bitte an der Kasse lösen!“ Typische Sprüche eines Schaustellers. Ganz egal, ob das Fahrgeschäft die jungen Mädels kreischen lässt, wenn sie in die Höhe katapultiert werden. Die Jungs einen lässigen Gesichtausdruck aufsetzen, wenn sie cool im Hupferl flanieren. Oder die Halbwüchsigen mit einem diabolischen Grinsen voller Schadenfreude den Autoscooter zum Frontalcrash steuern. Szenen wie diese kennt jeder. Volksfeste in vielen größeren Orten sind schließlich ein Spaß für die ganze Familie.
Berlin, Speyer und Augsburg abgesagt
Wann aber beginnt dieser Spaß wieder? „Eigentlich jetzt“, sagt Alvin Zinnecker, Schausteller aus Feichten bei Neumarkt-St. Veit. Mit „Freddys Zirkus“ sollte die Volksfestsaison schon vor zwei Wochen in Berlin beginnen, die „Spaßfabrik“ sollte in Speyer für Vergnügen sorgen und die „Leopardenspur“ sollte beim „Plärrer“ in Augsburg ihre Fliehkräfte auf die Fahrgäste einwirken lassen. Doch der Unternehmer sitzt stattdessen daheim fest. „Alles abgesagt“, bedauert der 57-Jährige, der das Familienunternehmen in der 14. Generation leitet.
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Die Hoffnung bestand, dass zumindest im Juli die Saison, wenn auch verspätet, beginnen könnte. Doch mit der Absage aller Großveranstaltungen bis zum 31. August, wurde den Schaustellern aus Neumarkt-St. Veit auch dieser letzte Strohhalm genommen: „Für uns ein Schlag ins Gesicht. Es ist der absolute Katastrophenfall eingetreten“, sagt Zinnecker. Von einem „Totalschaden“ spricht sein Sohn Freddy: „Die nehmen uns die Existenzgrundlage!“ Der 34-Jährige gibt zu, dass er sich mit der Absage von Großveranstaltungen deswegen so schwer tut, weil so weit nach vorne greift. Viereinhalb Monate. „Eine lange Zeitspanne. Das ist krass!“ Er hätte sich gewünscht, dass die Frist der totalen Absage kürzer gesetzt, gegebenenfalls nachjustiert und die Situation schließlich neu bewertet werde.
31 Fahrzeuge stillgelegt
So aber bemüht sich die Familie um Schadensbegrenzung. Nicht einfach, denn die Schausteller leben in erster Linie von den Sommermonaten: „Unser letztes Fahrgeschäft war bis Heilig Abend im Einsatz. Seit Weihnachten sitzen wir zu Hause“, erklärt Zinnecker, warum es gerade jetzt so wichtig wäre, dass er mit seinen Trucks und den Fahrgeschäften wieder auf Volksfesten in Deutschland und Österreich unterwegs ist. Jetzt ist die Zeit, um Geld zu verdienen.
„Der gesamte Fuhrpark ist abfahrbereit. Stattdessen habe ich jetzt erst einmal sämtliche Fahrzeuge stilllegen lassen, um Kosten, etwa Versicherungen, zu sparen“, erklärt Zinnecker. 31 Gefährte sind es, PS-starke Zugmaschinen, überdimensionale Auflieger, Luxus-Wohnwagen, die nicht etwa gerade auf Deutschlands Straßen unterwegs sind, sondern topgepflegt in der Fahrzeughalle in Feichten darauf warten, bis es endlichlosgehen kann.
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Soforthilfe hat der Senior ebenfalls schon beantragt, die ersten 5000 Euro habe er bereits erhalten. „Das ist völlig unbürokratisch über die Bühne gegangen“, lobt Alwin Zinnecker die schnelle Bearbeitung seines Gesuchs. Innerhalb von 14 Tagen sei das Geld auf dem Konto gewesen. Auch mit seiner Bank hat Zinnecker gesprochen, einen dreimonatigen Aufschub von Kreditzahlungen bewirkt, „das hilft uns schon mal gewaltig“. Zumindest bis Ende Juni. Die Auslagen habe er auf Null gesetzt. Hilfskräfte, Zinnecker spricht von neun Saisonarbeitern aus Rumänien und Polen, seien wegen des Stillstandes ohnehin zu Hause geblieben. „Ich hoffe, dass sie wiederkommen, wenn es denn wieder losgehen sollte.“
Lediglich eine Hilfskraft befindet sich gerade bei Zinneckers auf dem Gelände, um Arbeiten durchzuführen, Instandsetzungsmaßnahmen etwa, die man in einer gewöhnlichen Saison in den Herbst verschoben hätte. Gabor Zawitzki ist gerade dabei, die Leuchtmittel bei der Leopardenspur auszutauschen. „Wir wechseln auf LED, um Strom zu sparen“, erklärt Zinnecker. Auch nutzt die Schaustellerfamilie, deren Wurzeln bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, die Zeit, um die Fahrgeschäfte für den TÜV vorzubereiten. Der Seniorchef selbst überprüft die Ausleger der Berg- und Talbahn.
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Ob die in diesem Jahr noch zum Einsatz kommt? „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, meint Zinnecker schulterzuckend. Und er verhehlt dabei nicht, dass er grundsätzlich hinter den von der Regierung verordneten Einschränkungen wegen der Corona-Krise steht. „Wir müssen alle an einem Strang ziehen, damit irgendwann mal wieder Normalität ins Leben zurückkehrt.“ Je disziplinierter die Menschen sich verhalten würden, umso schneller sei dies der Fall, ist Zinnecker überzeugt. Umso schneller können dann auch die Zinneckers wieder auf die Rummelplätze.
Und die Familie, die dann durch die Lande zieht, ist groß. Denn nicht nur Sohn Freddy wird das Erbe weiterführen. Auch die Brüder Romanus, Andreas, Josef, Michael sowie die Schwestern Silvana und Monika sind im Schaustellergeschäft vertreten. „Und meine Enkelkinder Alwin und Laura stehen auch schon in den Startlöchern“, ist bei Alwin Zinnecker ein gewisser Stolz herauszuhören. „Wir leben diesen Beruf!“, fast verzweifelt klingt dies bei dem 57-Jährige, der zum Warten verdammt ist.
Ein Drittel wird die Krise nicht überstehen
Können die Zinneckers die Krisenzeit überstehen, eine Saison ohne Volksfest? Da hilft aktuell nur eine große Portion Zuversicht, wie sie Freddy Zinnecker verströmt. Er gibt zwar zu, dass ihm die Nachricht zum Verbot von Großveranstaltungen die Füße weggezogen habe. „Ich war den Tränen nahe!“ Er denke aber mittlerweile positiv, „mir bleibt ja nix anderes übrig!“ Man habe jetzt wenigstens einen Termin, an den man sich orientieren könne. Auf die Zeit nach dem 31. August lege er seinen Fokus. Und damit auch die Hoffnung, dass das Herbstfest in Rosenheim – eines der Höhepunkt im Schaustellerjahr – doch noch über die Bühne geht. Eröffnung wäre der 27. August. „Ob eine abgespeckte Version oder ein späterer Beginn. Hauptsache es kann stattfinden. Es ist unser Steckenpferd!“, sagt der 34-Jährige, der sich sicher ist, dass die Krise so manchem Schaustellerkollegen die Existenz kosten werde. „Wir sind noch relativ gut aufgestellt, können eine gewisse Zeit lang von unseren Rücklagen leben. Doch am Ende des Jahres wird es einige Kollegen nicht mehr geben“, befürchtet der Neumarkter. 5000 Schausteller gebe es deutschlandweit in der Branche. Ein Drittel werde die Krise nicht überstehen, schätzt Zinnecker – und das sei noch vorsichtig geschätzt. „Durchhalten“, sei das Gebot der Stunde. Damit es spätestens dann im nächsten Jahr wieder aus den Lautsprechern der „Leopardenspur“ klingt: „Einsteigen. Festhalten. Spaß haben. Die nächste Fahrt geht rückwärts!“ Und mit den Umsätzen dann hoffentlich wieder aufwärts.