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Wanderfalken im Kirchturm haben Nachwuchs: Rettungsaktion nach Bruchlandung im Garten

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Von: Josef Enzinger

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Voll ausgefiedert, aber benötigt noch Flugstunden: Dieser Wanderfalke war im Garten der Familie Frenzel in Neumarkt-St. Veit gelandet - glücklicherweise blieb er unverletzt.
Voll ausgefiedert, aber benötigt noch Flugstunden: Dieser Wanderfalke war im Garten der Familie Frenzel in Neumarkt-St. Veit gelandet – glücklicherweise blieb er unverletzt. © Geltinger

Das Wanderfalken-Paar im Glockenturm der Neumarkter Johanneskirche hat Nachwuchs bekommen. Der Bruterfolg gilt als Sensation. Doch ein Jungvogel legte eine Bruchlandung hin und war in Lebensgefahr! So verlief die Rettungsaktion. Mit Fotostrecke.

Neumarkt-St. Veit – Die Neumarkterin Birgit Frenzel traute ihren Augen nicht, als sie im Garten ihres Hauses in der Johannesstraße blickte: Ein junger Wanderfalke saß dort, völlig verloren. „Man hat relativ nahe hingehen können. Er hat keine Anstalten gemacht, wegzufliegen.“ Offenbar ein Jungtier, das noch nicht gut fliegen kann. Ihr war sofort klar, dass sie etwas unternehmen muss: „Sonst frisst ihn die Katze oder es stirbt, weil er kein Futter hat.“

Schon lange war bekannt, dass sich ein Wanderfalkenpaar im Turm der benachbarten Johanneskirche niedergelassen hatte. Die Kreisgruppe des Landesbunds für Vogelschutz hatte im Dezember 2021 einen Nistkasten im Glockenturm angebracht, in der Hoffnung, dass sich Nachwuchs einstellen würde. Das hat sich nun bewahrheitet. Vom Turm aus hatte sich der junge Falke auf den Weg gemacht und war über das Wohnhaus der Frenzels geflogen und schließlich im Garten gelandet.

Nistkasten im Glockenturm sorgt für Nachwuchs

Dort saß er nun, und Birgit Frenzel erinnerte sich daran, dass im Schaufenster der Johannes-Apotheke vor geraumer Zeit eine Kamera aufgebaut worden war, die Live-Bilder vom Fenstersims des Turmes übermittelte. „Also nahm ich Kontakt mit der Apotheke auf, die Oma hat währenddessen den Vogel bewacht.“

Ulrich Geltinger rettet gerne Vögel: Dieser Wanderfalke warbei einem Ausflug in einem Garten gestrandet. Der Neumarkter Apotheker hat ihn wieder zurück in seinen Kobel im Glückenturm der Johanneskirche gebracht.
Ulrich Geltinger rettet gerne Vögel: Dieser Wanderfalke war bei einem Ausflug in einem Garten gestrandet. Der Neumarkter Apotheker hat ihn wieder zurück in seinen Kobel im Glockenturm der Johanneskirche gebracht. © Geltinger

Apotheker Urlich Geltinger fackelte nicht lange, erschien mit einem Katzenkörbchen – und dicken Arbeitshandschuhen: „Denn beißen lass‘ ich mich nicht! Wenn sich so ein Falke wehrt, dann kann es blutig werden. Der Raubvogel hat extrem scharfe Krallen.“ Die Handschuhe erfüllten aber noch einen anderen Zweck: Dass man den Eigengeruch nicht weitergibt, die Brut könnte sonst von den Elternvögeln verstoßen werden.

Den Jungvogel, der in Frenzels Garten gelandet war, war voll ausgefiedert, aber richtig fliegen konnte er nicht. Er habe laut Geltinger immer wieder versucht, zu starten. Vergeblich. Dann aber ist der Vogel doch flüchtig geworden. „Er ist über das Gartentor raus Richtung Hintergarten der ehemaligen Tastebar, wo er dann am Fenster Rast gemacht hat.“ Birgit Frenzel nutzte die Chance, stülpte einen Karton über den flüchtigen Vogel – gefangen.

Jungtier nach Bruchlandung wieder eingefangen

Von der Schachtel aus wechselte der Falke im Garten der Frenzels dann ganz brav rüber ins Katzenkörbchen. Geltinger hatte sich bereits informiert, nachdem er den Hilferuf von Birgit Frenzel erhalten hatte. Er hatte Kontakt mit der Kreisgruppe des Landesbundes für Vogelschutz aufgenommen und sich erkundigt, wie weiter zu verfahren sei. Von dort hieß es: So schnell wie möglich zurück in den Kobel von St. Johann. Geltinger setzte auch die Untere Naturschutzbehörde im Landratsamt Mühldorf in Kenntnis. Mesnerin Anni Kulhanek sperrte dann den Turm auf, damit Geltinger den Vogel zurückbringen konnte.

Kein leichtes Unterfangen im engen Turm. Man sollte schwindelfrei sein, um den Turm bis ganz oben zu besteigen. Wobei Geltinger vor allem den Anstieg am Schluss als größte Herausforderung benennt: „Eine acht Meter hohe Holzleiter ist noch hochzuklettern, um zum Nistkasten zu gelangen, den der LBV über den Glockenstuhl angebracht hat.“ Der Falke im Körbchen hielt sich zurück, war nach den Beschreibungen Geltingers eher verängstigt, er habe ziemlich geschnauft, berichtet Geltinger später.

Etwas verängstigt war der Wanderfalke nach dem Fang. Schnellstmöglich wurde in das Nest im Kirchtum zurückgebracht.
Etwas verängstigt war der Wanderfalke nach dem Fang: Schnellstmöglich wurde er ins Nest im Kirchturm zurückgebracht. © Frenzel

Geltinger entließ den Jungvogel in die Freiheit und stieg wieder herab. Ein Happy End hat die Geschichte trotzdem nicht: Wieder unten angekommen, hat Geltinger mitbekommen, dass ein anderes Jungtier vom Dach gefallen ist. „Wie ein Stein. Er muss auf der Stelle tot gewesen sein“, bedauert Geltinger, der die Raubvögel seit seiner Entdeckung vor zwei Jahren beobachtet. Im vergangenen Jahr hatte man bereits gehofft, dass die Falken brüten. „Doch das war ein taubes Ei. Es wurde nicht bebrütet.“

Umso größer jetzt die Freude, dass jetzt sogar Wanderfalken geschlüpft sind. Nach den Erkenntnissen Geltingers handle es sich in Neumarkt-St. Veit um den einzigen Bruterfolg im südostoberbayerischen Raum. „In einem Kirchturm ist das etwas ganz Besonderes. Noch dazu bei uns. Denn eigentlich ist der Wanderfalke eher im Gebirg‘ zu Hause“, sagt Geltinger.

Einziger Bruterfolg in Südostoberbayern

Dies bestätigt auch die Kreisgruppe des Landesbundes für Vogelschutz (LBV): „Dass sich Wanderfalken überhaupt im Landkreis Mühldorf ansiedeln, ist schon etwas Besonderes“, sagt Petra Berger, die in der Kreisgruppe des LBV ehrenamtlich für Greifvögel und Eulen tätig ist und deswegen auch weiß, dass es in Bayern insgesamt zwischen 260 und 280 Wanderfalkenpaare gibt. Das Neumarkter Falkenpaar ist seit 2021 bekannt. Das zweite Paar in Mühldorf wurde 2022 dokumentiert. Geltinger habe völlig richtig gehandelt, fügt Berger hinzu. Falken, die eine Bruchlandung überleben und heil geblieben sind, sollten schnellstens zum Nest zurückgebracht werden, um ein Überleben zu sichern.

Und in der Tat: Der gerettete Falke scheint „bumperlgesund“ zu sein, wie Geltinger sagt. „Ich hab ihn kurz, nachdem ich ihn zurückgebracht habe, schon wieder auf dem Sims rumhupfen sehen. Dem geht‘s gut!“

In Deutschland brüten gerade mal 600 Paare

Der Wanderfalke wurde vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) im Jahr 1971 zum Vogel des Jahres gewählt. Er jagt laut NABU fast ausschließlich fliegende Vögel im freien Luftraum, entweder von einer erhöhten Sitzwarte aus oder aus hohem Kreisflug. Zu seiner Beute zählen besonders Haustauben, Stare, Drosseln, Feldlerchen, Buchfinken und Rabenvögel. Die europäische Population von 11.000 bis 15.000 Brutpaaren besitzt ihre Schwerpunkte in Spanien, Italien, Frankreich, Großbritannien, Grönland und der Türkei. Abgesehen von der Türkei, wo die Zahlen weiterhin rückläufig sind, haben sich die Wanderfalken-Bestände seit den 70er-Jahren in den meisten Ländern erholen können. In Deutschland brüten heute wieder mehr als 600 Paare.

Einer der Gründe für den dramatischen Bestandsrückgang bis etwa 1970 war die Aufnahme von chlorierten Kohlenwasserstoffen über die Beutetiere. Diese Pestizide verursachten beim Wanderfalken (genau wie beim Sperber) dünnschalige Eier, was den Bruterfolg unmittelbar reduzierte. Es kam aber auch zu direkten Vergiftungen. In vielen Ländern entwickelte sich auch die Jagd auf den Wanderfalken zu einem wesentlichen Gefährdungsfaktor – verbunden mit Aushorstungen und dem Verkauf der Jungvögel in vorzugsweise arabische Länder. Störungen an Brutplätzen durch Freizeitaktivitäten (zum Beispiel Klettern) sowie vogelgefährlich konstruierte Strommasten und -leitungen zählen laut Naturschutzbund ebenfalls, gebietsweise sogar bis heute, zu den Gefährdungsursachen.

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