Fachpersonal ist Mangelware
„Ich träume von neuen Arzthelferinnen“ - Wie Mühldorfer Praxen gegen die Personalmisere kämpfen
- VonDr. Nicole Petzischließen
Wer kennt das nicht - lange Warteschlaufen am Telefon, Vorsorgetermine erst in Monaten oder gar beim Notfall ab in die Klinik? Damit es in Praxen nicht zum Schlimmsten kommt, haben Mühldorfer Ärzte eigene Strategien.
Mühldorf am Inn - „Leider können wir Ihnen heute oder morgen keinen Termin mehr in der Praxis anbieten!“ Personalnotstand und hoher Krankenstand in Arztpraxen lassen grüßen. „Mitarbeiterschwund ist ein großes Problem - egal ob für Haus- oder Facharzt“, sagt Dr. Edwin Hungerhuber, Urologe in Mühldorf. Doch wie damit umgehen, so dass die Patienten jetzt und in Zukunft adäquat versorgt bleiben?
Das Praxismanagement wird effizienter, so der Facharzt. Für einen kurzfristigen Termin müssen jedoch ab und an Routine- oder Vorsorgeuntersuchungen verschoben werden. Auf diese müsse man jedoch tendenziell sowieso länger warten, derzeit zwei bis drei Monate. Edwin Hungerhuber kann sich an teilweise „massive Diskussionen wegen Terminverschiebungen“ erinnern.
Vor wenigen Jahrzehnten noch Überangebot an Bewerbern
Als Hungerhuber vor 18 Jahren in der Gemeinschaftspraxis am Stadtplatz einstieg, konnte er mit Blick auf das Praxispersonal noch aus dem Vollen schöpfen. „Auf jede Zeitungsannonce erhielten wir 20 bis 30 Bewerbungen, wir konnten uns die guten Bewerbungen herauspicken“, erinnert sich der Urologe. Über die Zeitung oder andere klassische Kanäle habe man heutzutage keine Chance, eine Arzthelferin zu finden. Vor rund fünf Jahren sei der „Mitarbeitermarkt schwierig“ geworden - bei kontinuierlich steigenden Patientenzahlen. „Das liegt auch an der Demografie“, erklärt Hungerhuber mit Verweis auf seinen Fachbereich, der besonders mit älteren Patienten zu tun hat.
Eine Arzthelferin fehlt pro Praxis
Vor allem in ländlichem Gebiet wie dem Landkreis Mühldorf besteht ein großer Fehlbestand an Arzthelferinnen. Wie der Sprecher des Ärztlichen Kreisverbands Mühldorf, Dr. Erich Fink, auf Nachfrage mitteilt, fehlt mindestens eine pro Haus- oder Facharztpraxis. Zum scheinbar sinkenden Interesse an der Ausbildung - derzeit absolvieren beispielsweise lediglich sechs Damen die Ausbildung in Waldkraiburg, in Mühldorf sieht es laut Fink nicht besser aus - komme, dass es viele der jungen Arzthelferinnen nach ihrer Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten (MFA) in die Metropole zieht, konstatiert Fink.
Praxen strukturell gegenüber Kliniken benachteiligt
Personalmangel ist übrigens kein Problem des Landkreises Mühldorf allein, sondern betrifft „alle Praxen in Oberbayern“, bestätigt Dr. Axel Heise von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) auf Nachfrage der OVB Heimatzeitungen. Ärztinnen und Ärzte klagen darüber, „dass sie im Wettbewerb um Fachkräfte etwa gegenüber Kliniken strukturell benachteiligt sind. So kam der sogenannte Coronabonus der Bundesregierung nur Mitarbeitern in Kliniken zugute, obwohl fast 90 Prozent der Coronapatienten in den Praxen der niedergelassenen Vertragsärzte behandelt wurden“, so Heise.
Von den schwierigen Grundlagen wieder zurück in den Praxisalltag - und der sieht nicht überall trostlos aus: Dass Edwin Hungerhuber und seine Kollegen in der urologischen Gemeinschaftspraxis mit ihren 16 Arzthelferinnen „ganz gut im Moment“ aufgestellt sind, liegt auch daran, dass die Praxis unorthodoxe Wege einschlägt, um Personal anzusprechen.
Personalsuche auf Facebook und Instagram
„Wir bemühen uns, alle Arzthelferinnen nach der Babypause wiederzuholen“, erklärt der Urologe. Eine Strategie, die sich auf lange Sicht auszahlt, um die Damen als „Eigengewächse“ an die Praxis zu binden. Das Problem ist, akut Leute zu finden. Seit zwei Jahren suche man nach Nachwuchs auch über Facebook und Instagram; durchaus mit Erfolg, fügt Hungerhuber hinzu. Und weiter: „Wir sind offen für alles.“ Wo früher nur ausgebildetes Fachpersonal eine Chance hatte, sind heute auch Quereinsteiger gern gesehen. Hauptsache die soziale Kompetenz stimmt.
Quereinsteiger immer mehr gesucht
Der Blick geht von der Facharzt- hin zur Hausarztpraxis, wo sich ein ähnliches Bild darbietet: Dr. Ana-Maria Drieschner, die sich vor zehn Jahren in ihrer Mühldorfer Hausarztpraxis niedergelassen hat, würde sofort nicht nur ausgelerntes Fachpersonal einstellen. „Wenn ein Quereinsteiger offen und aufnahmefähig ist, kann er in wenigen Monaten eingelernt sein.“ Interessenten anzusprechen funktioniert in erster Linie über eine attraktive Praxis-Homepage sowie Mundpropaganda der Arzthelferinnen auf Social Media Kanälen. In der Praxis sei das stets ein Thema. „Ich träume bereits von neuen Arzthelferinnen“, sagt Drieschner.
Impfpflicht befeuerte Personalmisere
Die Personalmisere weiter angefacht hat die Pandemie. „Einige Arzthelferinnen haben wegen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ihren Beruf aufgegeben. Das betrifft aber alle Bereiche im Gesundheitswesen“, bedauert Ana-Maria Drieschner.
Dass sich der angespannte Mitarbeitermarkt nach Aufhebung der Corona-Schutzmaßnahmen wieder entspannt, davon geht Drieschner nicht aus. Das funktioniert ihrer Ansicht nach nur nachhaltig, wenn Jobs im Gesundheitswesen wieder attraktiver gemacht werden - nicht nur was Arzthelferinnen, sondern auch Ärzte anbelangt. Ana-Maria Drieschner schüttelt mit dem Kopf. Sie selbst nimmt als Hausärztin fast keine neuen Patienten mehr auf.
Viele Überstunden angezeigt
Mit dem in den letzten Jahren drastisch angestiegenen Patientenaufkommen umzugehen, bedeutet auch für ihr Praxis-Personal Überstunden. Kommt eine Krankheitswelle zu der Unterbesetzung hinzu, müssen freie Tage auch mal ausfallen, so die Allgemeinmedizinerin. Denn die Patienten sollen weiterhin bestmöglich versorgt, Notfälle sollen weiterhin in der Praxis schnell behandelt werden. Und auch hier verlässt sich Ana-Maria Drieschner auf die Belastbarkeit, Flexibilität und fachliche Kompetenz ihrer „Mädels“ am Empfang: „Die können gut einschätzen, wer noch zwei Tage auf den Termin warten kann.“