Familie aus Taufkirchen
Mit nur elf Jahren gestorben: Eine verwaiste Mutter spricht über ihren tragischen Verlust
- VonRaphaela Lohmannschließen
Trauer, Verlust und das Gefühl, „versagt“ zu haben - und das, obwohl nichts unversucht gelassen wurde. Eine Familie aus Taufkirchen macht das Schlimmste durch, was passieren kann: Tochter Mia ist vor einem Jahr gestorben.
Taufkirchen - Die Garde-Mädchen aus Taufkirchen tanzen wieder. Doch eines von ihnen wird beim Neustart nach der Corona-Pause schmerzlich vermisst: Mia. Kurz nach ihrem 11. Geburtstag ist das Mädchen nach langer Krankheit gestorben. Für Mias Familie ein schmerzhafter Verlust, über den ihre Mutter reden will.
Mia war ein lebenslustiges Mädchen, hatte gute Noten in der Schule, war Ministrantin und hatte das Tanzen in der Garde geliebt. Für die Familie aus Taufkirchen war alles in Ordnung, bis zum 1. Mai 2020. Mias Mutter kann sich noch in allen Einzelheiten daran erinnern, was das Leben der Familie so plötzlich ins Wanken geraten ließ.
Mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus
„Ich stand mit einer Tasse Kaffee in der Hand im Zimmer, die Mädchen haben gemeinsam Playmobil gespielt. Plötzlich klagte Mia über starke Kopfschmerzen“, erinnert sich die Mutter, die nicht mit Namen genannt werden will. Mia kommt die Treppe runter, bricht zusammen und muss sich übergeben. Sie kann nicht mehr antworten, ein Arm hängt schlaff an ihr herunter. „Wir hatten sofort den Notarzt gerufen, irgendetwas stimmte nicht mit ihr.“ Der Notarzt ruft einen Hubschrauber, Mia kommt in ein Krankenhaus nach München und dort sofort auf die Intensivstation. Ein MRT-Befund bringt es ans Licht. „Mia hatte einen Gehirntumor.“ Einblutungen sind der Grund für Mias Zusammenbruch.
Es folgen vier Operationen, Chemo- und Strahlentherapie. Mias Vater ist viel mit ihr unterwegs, bleibt für seine Tochter komplett daheim. „Wir hatten Hoffnung, dass Mia wieder gesund wird.“ Auch die Ärzte sind optimistisch, den Tumor nach der ersten OP vollständig entfernt zu haben. Aber nach jeder OP kehrt der Tumor wieder zurück. Mit Mia sprechen sie nie wirklich über die Krankheit, nur so viel, dass etwas „Böses in ihrem Kopf“ ist.
Einem Weihnachtsgeschenk kommt es gleich, als Mia für eine Studie in Würzburg mit einer Immuntherapie berücksichtigt wird. „Wir hatten das Gefühl, dass uns geholfen werden kann. Auch der Professor war zufrieden mit den Werten“, erzählt die verwaiste Mutter. Hoffnung keimt auf, dass der Tumor stehen bleibt und Mia gehen lässt. Zwischendurch gibt es auch immer Grund zur Hoffnung und es kündigt sich weiterer Nachwuchs in der Familie an.
Im November ihren 11. Geburtstag gefeiert
Doch der Tumor bleibt nicht stehen, sondern wächst weiter, wird inoperabel. „Wir haben trotzdem nie die Hoffnung aufgegeben“, sagt ihre Mutter. Die Eltern wollen Mia neben ihren Fahrten nach Würzburg ein normales Leben bieten. „Sie ging ministrieren, feierte Erstkommunion und ging zur Schule. Mia war immer dabei. Ihre Krankheit ließ sie sich nicht anmerken, machte sich selbst Mut.“ Eine starke Müdigkeit plagt sie immer wieder, im November 2021 feiert sie ihren 11. Geburtstag: „Sie war fit und hat die Feier mit ihren Freundinnen so genossen.“ Doch schon bald nimmt die Müdigkeit überhand, das Reden fällt ihr immer schwerer.
Als Mitte Dezember Mias kleiner Bruder zur Welt kommt, schickt Mia mit der Familie noch ein Video ins Krankenhaus zur Mutter. Doch in den nächsten Tagen verschlechtert sich ihr Zustand. „Als ich aus dem Krankenhaus heimgekommen bin, konnte sie nicht mehr schlucken, es ging rapide bergab mit ihr“, erinnert sich ihre Mutter. Sie streichelt Mia noch den Kopf und die Hand, dann kommt sie mit dem Rettungswagen auch schon nach Altötting ins Krankenhaus. „Die Ärzte haben ihr Bestes gegeben“, sagt die Mutter mit Tränen in den Augen. In der Nacht stirbt Mia, ohne dass sie noch einmal bei ihr war.
Mias Physiotherapeutin hatte durch Zufall mitbekommen, dass das Mädchen im Krankenhaus war und blieb noch länger bei ihr am Bett sitzen. Bis zum Schluss.
„Ich will Mia wieder zurück.“ Vieles macht für die junge Mutter keinen Sinn mehr, alles ist verändert. Für ihre Kinder lohnt es sich, nach vorne zu schauen. Für die Kinder will sie stark sein. „Aber ich fühle mich nicht stark. Keiner ist dafür gemacht, so stark zu sein.“ Das erste Jahr habe sie irgendwie geschafft, aber es werde nichts mehr wieder gut. Jeder in der Familie geht anders mit Mias Tod um. Ihre Schwester Fabienne verdrängt alles, man komme nur noch schlecht an sie ran. „Es ist belastend, nichts ist mehr so, wie es war“, sagt die Mutter. Mias Krankheit ist ohne Vorzeichen gekommen. „Ich hätte nie gedacht, dass so etwas passiert.“ Sie überlebe nur noch irgendwie, hofft darauf, nach diesem schlechten Traum endlich aufzuwachen.
Unerträglich sind für sie Begegnungen im Dorf geworden. „Früher war ich die Mama mit den vier Mädels. Jetzt bin ich die Mama, deren Tochter gestorben ist.“ Viel lieber wäre es ihr, wenn man mit ihr „ganz normal“ spricht.
Das Gefühl, zu wenig gemacht zu haben
Die Operationen, Chemo- und Strahlentherapie, die vielen Fahrten nach Würzburg - die Familie hat nichts unversucht gelassen, dennoch bleibt das Gefühl, „zu wenig gemacht“, „versagt“ zu haben. Hinzu kommen die Fragen: Warum konnte der Tumor nicht gutartig sein? Warum musste ihre Tochter überhaupt einen Tumor haben?
An die Zeit vor Mias Tod erinnert sich ihre Mutter sehr genau, doch danach nimmt sie vieles nicht wahr. „Ich kann mich nicht einmal mehr an Weihnachten erinnern.“ Auf ihrem Schoß sitzt Leonhard, der mittlerweile ein Jahr alt ist. „Er schaut Mia so ähnlich und ist so ein braves Kind. Als hätte er sich angepasst.“
Unterstützung von außen
Die Familie sucht sich in ihrer Trauer Unterstützung von außen. Als Mia noch lebte, wollte sie ihre Tochter vor zu vielen Leuten schützen. Lange hatte sie sich geweigert, Kontakt zur Kinder-Krebshilfe Balu aufzunehmen. „Ich wollte das Wort ‚Krebs‘ nicht hören. Heute ärgere ich mich noch immer darüber.“
Erst seit drei Monaten findet sie langsam wieder ins Leben zurück, trotzdem bleibt viel Alltägliches schwierig, gerade die Dinge, die Mia so gern gemocht hatte. Brettspiele mit den Kindern zum Beispiel. „Mia hatte es geliebt, Spiele zu spielen.“
Für Mia waren die Familie und die Freunde das Wichtigste. „Sie war immer bemüht, dass es allen gut geht.“ In der Garde zu tanzen, das hatte sie geliebt. In diesem Jahr tanzt ihre jüngere Schwester Fabienne in der Garde mit. „Mia wäre stolz auf ihre Schwester.“