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Massiv-Kunst gegen das Vergessen: Was die Skulpturen aus Eisenbahn-Stahl aussagen sollen

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Von: Dr. Nicole Petzi

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Mühldorf am Inn - Der Garchinger (Alz) Künstler Charlie Hofschaller (rechts) stiftet seine Skulptur „Geschundene“ der KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart. Links daneben Ludwig Zolnierz vom Verein für das Erinnern.
Der Garchinger (Alz) Künstler Charlie Hofschaller (rechts) stiftet seine Skulptur „Geschundene“ der KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart. Links daneben Ludwig Zolnierz vom Verein für das Erinnern. © Nicole Petzi

Auf dem Parkplatz rund 50 Meter entfernt vom ehemaligen Waldlager der KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart empfängt die Besucher seit Kurzem eine imposante Stahl-Skulptur auf einem Stück Bahngleis. Das hat sich der bildende Künstler Charlie Hofschaller dabei gedacht.

Mühldorf - „Das kann man sich im schlimmsten Film nicht vorstellen.“ So reagierte der Stahl-Künstler Charlie Hofschaller aus Garching an der Alz, als er vor einigen Jahren von einem Lehrer vor Ort auf die Todesmärsche der Nazi-Opfer aufmerksam gemacht wurde. Die Märsche hatten sich auch in der Region in den letzten Kriegstagen im Zuge der eilig evakuierten KZ abgespielt. So zum Beispiel Anfang Mai 1945 von Mühldorf her kommend Richtung Mauerberg bei Garching. Diese Getriebenen auf einer endlosen Bahnlinie darzustellen, reifte in ihm als Idee zu einer neuen Skulptur.

Überlebensgroß in Ketten gelegt

Seit rund drei Wochen befindet sich diese auf dem Parkplatz wenige Meter vor dem ehemaligen Waldlager der KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart: Auf einem kleinen Stück ausrangierten Bahngleis steht sie da, die überlebensgroße, 120 Kilogramm schwere Gestalt und weist - in gebückter Haltung, den Kopf vor Erschöpfung gesenkt, die Hände auf dem Rücken in Ketten gelegt - die Besucher in Richtung Wald. Erschaffen hat Charlie Hofschaller sein Werk aus rostigen Bahnschienen-Stücken, die er „wie Legosteine“ zunächst auf dem Gelände vor seinem Haus ausgelegt und dann zusammengebaut hat.

Lange Gedanken gemacht habe er sich über die Mimik der Gestalt - Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit mit kubischen Metallblöcken symbolhaft zu erzielen, darum ging es ihm. Ein schwieriges Unterfangen, genauso wie das Kunststück, zig Kilogramm massiven Stahl in eine „ausgemergelte“ Form zu bringen.

Mühldorf am Inn - Ludwig Zolnierz vom Verein für das Erinnern (hinten) lässt Charlie Hofschallers (vorne) Skulptur auf sich wirken. Hier in Blick von hinten auf das Kunstwerk am Waldlager.
Ludwig Zolnierz vom Verein für das Erinnern (hinten) lässt Charlie Hofschallers (vorne) Skulptur auf sich wirken. Hier ein Blick von hinten auf das Kunstwerk am Waldlager. © Nicole Petzi

Spiegel für alle gepeinigten Menschen

Eine Symbolwirkung sollte auch der Titel der Skulptur - „Geschundene“ - haben, erklärt der gelernte Schlosser weiter: „Je weniger man sagt, desto mehr können die Betrachter hineininterpretieren.“ Also gibt es kein Geschlecht oder sonstige Merkmale, die beispielsweise auf spezielle Volksgruppen hinweisen könnten. Mehrfach sei Hofschaller „aus diversen Richtungen“ darauf hingewiesen worden, dieses oder jenes „Abzeichen“ an der Skulptur anzubringen. Nein, befindet der Garchinger. Alle Opfer dieser Welt haben auf einer einzigen Plastik sowieso keinen Platz.

„Jeder, der sich im Leben schlecht behandelt gefühlt hat oder selbst geschunden wurde, soll sich beim Betrachten wiederfinden“, konstatiert Charlie Hofschaller.

Seine Aussage ist bei den Menschen angekommen, bisher zumindest. Das Feedback aus Ausstellungen der „Geschundenen“ - etwa im Altöttinger Forst oder im Rahmen der Kunsttage Garching - hat Hofschaller bekräftigt. Nur der angemessene Aufstellungsort hat bisher gefehlt. Dass sein Werk nun Teil der KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart ist, befriedigt das eigentlich so unruhige Künstlerherz. „Das hat es hier gebraucht“, freut sich Hofschaller.

Viele helfende Hände

Gerne hat Franz Langstein, Vorsitzender des Vereins für das Erinnern - Gedenkstätte im Mühldorfer Hart, die Anfrage Charlie Hofschallers, einen würdigen Platz für die unentgeltlich überlassene Skulptur auf dem Areal zu finden, angenommen. Es habe einige Zeit und einen bürokratischen „Marathon“ gekostet, bestätigt Langstein gegenüber den OVB-Heimatzeitungen. Abstimmungen mit Forstamt und Stiftung Bayerischer Gedenkstätten sowie Ampfings Bürgermeister Josef Grundner haben Früchte getragen. Schnell konnte der lokale Bauhof das Gelände an der betreffenden Stelle aufkiesen; auch das THW kam bei der Aufstellung mit einem Kran zu Hilfe.

Der Parkplatz am Waldlager erschien Langstein als bester Ort für die Stahl-Plastik, um die Gedenkstätten selbst nicht mit Kunstwerken zu überfrachten. „Der Gedenkort soll für sich selbst wirken.“

Mühldorf am Inn - THW Mühldorf hilft mit großem Kran bei der Aufstellung des Kunstwerks von Charlie Hofschaller (vorne) auf dem Parkplatz vor dem ehemaligen Waldlager.
THW Mühldorf (hinten von links: Florian Seemann, Manfred Stöger, Matthias Müller, daneben Günter Schodlock und Ludwig Zolnierz vom Verein für das Erinnern) hilft mit großem Kran bei der Aufstellung des Kunstwerks von Charlie Hofschaller (vorne) auf dem Parkplatz vor dem ehemaligen Waldlager. © THW

Sorge vor Vandalismus

Ähnlich sieht das auch Ludwig Zolnierz. Das langjährige Vereinsmitglied und ehemaliger Schriftführer kümmert sich turnusmäßig um die Gedenkstättenpflege. In seiner Funktion als Besucher-Führer freut sich der Stephanskirchner, nun mit der imposanten Hofschaller-Skulptur einen aussagekräftigen „Wegweiser“ zu haben, der die Interessierten „gedanklich aufmerksam macht“. Für Zolnierz spiegelt die Figur „Geschundene“ in idealer Weise das Schicksal der Lagerinsassen, die täglich zur Zwangsarbeit an der Baustelle Bunkerbogen marschieren mussten, wider.

Ob der massiven Machart des Kunstwerks wird obendrein seine Hoffnung beflügelt, dass die Plastik nicht dem Vandalismus zum Opfer fällt. Gegen „Wahnsinnige, die Zerstörungswut in sich tragen“, sei noch kein Kraut gewachsen, sagt der 75-Jährige mit einem Kopfschütteln.

Nichtsdestotrotz soll in würdigem Rahmen in wenigen Wochen Charlie Hofschallers Skulptur „Geschundene“ der Öffentlichkeit übergeben werden. Dann - so hofft der Künstler - mit einem Schwung an Bahnschotter als Grundlage, um den Effekt einer dargestellten Gleisanlage noch besser zu unterstreichen.

Führungen KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart

Öffentliche Führungen durch die KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart (mit den drei Gedenkorten Waldlager, Bunkerbogen und Massengrab) finden dreimal im Jahr (3. Oktober sowie je einmal im Mai und im Juni) statt, bestätigt Velinka Rödig vom Katholischen Kreisbildungswerk Mühldorf, das die Führungen organisiert. Weitere (Gruppen-)Führungen können auf Anfrage an die E-Mail-Adresse info@kreisbildungswerk-mdf.de sowie unter der Telefonnummer 08631 37670 vereinbart werden. Laut Rödig nehmen jährlich rund 150 Teilnehmer an den Führungen teil.

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