Überraschung vor Mühldorfer Gericht
Schläge? Würge-Attacke? Und dann eine Verlobung? Das unglaubliche Gerichts-Schauspiel von Mühldorf
- VonHans Rathschließen
Die Anklage gegen den 46-jährigen Kosovaren lautete auf gefährliche Körperverletzung und Bedrohung. Was davon bei der Verhandlung vor dem Mühldorfer Amtsgericht übrig blieb.
Mühldorf - Schläge ins Gesicht, Bedrohung mit einem gezückten Messer, Würgen mit dem Gürtel und Fußtritte – so der Inhalt der Anklageschrift, die Staatsanwalt David Heberlein im Amtsgericht Mühldorf vortrug. Die Anklage gegen einen 46-jährigen Kosovaren lautete auf zweimalige gefährliche Körperverletzung und zweimalige Bedrohung.
Umfangreiche Anklageschrift
Amtsrichter Florian Greifenstein verhandelte wegen dieser umfangreichen Liste an Delikten gegen einen kosovarischen Zeitarbeiter, früher in Mühldorf und jetzt in Altötting wohnhaft. Der Mann wurde von Rechtsanwalt Jörg Zürner vertreten. Das vermeintliche Opfer der Taten war die damalige Lebensgefährtin des Beschuldigten, eine 44-jährige Frau, mit der er damals in der Mühldorfer Altstadt gelebt hatte.
Im November 2021 hatte scheinbar das Martyrium der Frau, die ebenfalls aus dem Kosovo stammt - wegen einer früheren Ehe jedoch angab, die amerikanische Staatsbürgerschaft zu besitzen - begonnen. Bei einem Streit soll der Kosovare die Frau ins Gesicht geschlagen und sie dabei starke Schmerzen erlitten haben. Vier Monate später soll sie der Mann bei einer weiteren Auseinandersetzung in der gemeinsamen Wohnung mit einem gezückten Messer bedroht haben, indem er es 30 Zentimeter vor ihren Hals hielt.
Vor Gericht ruhig und friedlich
Eine Woche später, es gab wohl den nächsten Streit, soll der Angeklagte, der sich vor Gericht ganz ruhig, unscheinbar und friedlich gab, der Frau einen Gürtel um den Hals gelegt haben, versucht haben sie zu erwürgen und gedroht haben sie umzubringen. Als dies nicht gelang, soll er sein vermeintliches Opfer mit der Gürtelschnalle auf die Beine geschlagen haben. Nachdem sich die Situation beruhigt hatte, seien die beiden am Mühldorfer Stadtplatz einkaufen gegangen. Doch der Streit sei dort wohl erneut entbrannt, der Angeklagte soll die am Boden zusammengesackte Frau mit Fußtritten traktiert haben. Ein zufällig vorbeikommender Passant alarmierte die Polizei.
Die Frau gab - laut Polizei - die beiden Vorfälle auf der Wache zu Protokoll, ebenso habe sie die zwei zurückliegenden Fälle ans Tageslicht gebracht. Die Polizei machte Fotos von sichtbaren Verletzungen. Am nächsten Tag gab es einen Gewaltschutzbeschluss vom Familiengericht: Der Mann musste sofort aus der gemeinschaftlichen Wohnung ausziehen und durfte sich der Frau nicht mehr nähern.
Zeuge rief die Polizei
Als erster Zeuge vor Gericht bestätigte der Sachbearbeiter der Polizeiinspektion Mühldorf die Vorfälle auf dem Mühldorfer Stadtplatz. Er erzählte von Schwierigkeiten mit der verletzten Frau - je länger die von ihr zu Protokoll gegebenen Taten zurücklagen, umso weniger auskunftsfreudig war sie allerdings. Sie wollte offensichtlich nichts mehr damit zu tun haben.
Ein weiterer Zeuge, ein 64-jähriger Pensionär aus Heldenstein, war am Stadtplatz abends kurz vor 20 Uhr unterwegs gewesen. Er berichtete: „Ich war auf dem Weg zu meinem Auto. Unter den Arkaden sah ich, wie ein Mann eine Frau gegen die Wand drückte. Sie bat mich um Hilfe, ich sollte die Polizei rufen, was ich auch tat. Die Frau zitterte am ganzen Körper, der Mann habe ihr Handy und Wohnungsschlüssel abgenommen. Die stark eingeschüchterte Frau klappte zusammen wie ein leerer Sack. In meinem Beisein gab es keine Tritte gegen die Frau und ich habe auch keine Drohungen gehört“.
Auch die Frau wurde als Zeugin vernommen. Sie war aus Kaiserslautern angereist, wo sie inzwischen lebt und arbeitet. Bei ihrer Aussage breitete sich dann doch eine gewisse Überraschung im Gerichtssaal aus. Per Dolmetscher ließ sie mitteilen, dass sie und der Angeklagte sich versöhnt hätten, sie seien seit dem 7. Januar verlobt. Den Zwischenruf des Angeklagten „Die Liebe macht alles möglich“, kommentierte Richter Greifenstein so: „Nach Liebe klingt das alles nicht“.
Aussage darf verweigert werden
Angesichts dieser Aussage der Zeugin verkündete der Amtsrichter, dass die Strafprozessordnung vorsehe, man könne im Falle einer Verlobung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen. Dies tat die Frau dann auch. Die Frau hatte den Mann während ihrer Aussage kein einziges Mal angesehen, über Ort und Art der Verlobung gab es unterschiedliche Aussagen: Die Frau nannte Mühldorf, der Mann Altötting als Verlobungsort.
Auch Staatsanwalt David Heberlein nahm in seinem Schlusswort die „Verlobung“ nicht für bare Münze: „Die Verlobung ist ein Schutz, um aus der Sache herauszukommen“. Da es aber keine Beweise gebe, musste der Vertreter der Anklage auf Freispruch plädieren. Dem schloss sich auch Verteidiger Jörg Zürner an. Greifensteins Urteil lautete Freispruch aus Mangel an Beweisen. Der Zeuge habe nichts Belastendes gesehen oder gehört, die Bilder allein reichten als Beweismaterial nicht aus. Die Verweigerung der Aussage habe letzten Endes den Ausschlag gegeben. Die Kosten der Verhandlung muss die Staatskasse tragen.