Nach dem schweren Erdbeben
„Familien wurden ausgelöscht“: Stephanie aus Aschau sucht mit Hunden nach Erdbeben-Verschütteten
- VonRaphaela Lohmannschließen
Das Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion ist eine der schlimmsten Naturkatastrophen der vergangenen Jahrzehnte. Wie verheerend die Zerstörung ist, wie schlimm das Leid der Menschen ist, weiß Stephanie Schmitt aus Aschau. Sie war mit I.S.A.R. Germany im Einsatz.
Aschau am Inn - Die Gebäude wie Kartenhäuser eingestürzt, verzweifelte Menschen auf der Suche nach ihrem Angehörigen, die noch unter den Trümmern liegen und eine Zerstörung, die kaum vorstellbar ist. Noch ist immer nicht klar, wie viele Todesopfer das schwere Erdbeben in der Türkei und Syrien gefordert hat. Schätzungen gehen mittlerweile 50.000 Menschen aus. Gleich nach dem Beben war klar, dass es die Hilfe der internationalen Gemeinschaft braucht.
Nur 36 Stunden nach dem Erdbeben mit der Stärke 7,8 war Stephanie Schmitt aus Aschau in der Türkei. Seit 2012 ist sie mit Rettungshunden im Einsatz, vor knapp acht Jahren hat sie sich der gemeinnützigen Hilfsorganisation I.S.A.R. Germany angeschlossen, um genau nach solchen Ereignissen zu helfen. Nach dem Erdbeben in Haiti im August 2021 war sie zu ihrem ersten Einsatz aufgebrochen, der Einsatz in der Türkei nun ihr zweiter.
Eine immense Zerstörung
„Der Einsatz jetzt war komplett anders. Auf Haiti war medizinische Soforthilfe gefragt. Jetzt ging es darum, nach Überlebenden unter den Trümmern zu suchen und zu bergen“, erklärt sie. Egal, wo sie während ihres Einsatzes gewesen ist, die „Schäden waren immens“. „Vor Ort erlebt man das anders. Egal wo, alles war zerstört. Und viele Gebäude werden noch einstürzen“, schildert sie ihre Eindrücke. Selbst Team-Mitglieder, die schon mehrere Einsätze hinter sich haben, hatten eine solche Zerstörung noch nie gesehen. Kurz nach dem Beben kam auch die Frage auf, ob die Gebäude nicht erdbebensicher gebaut worden seien.
Stephanie Schmitt spricht von einer „katastrophalen Bausubstanz“. Während manche Häuser in sich zusammengestürzt sind, blieben andere stehen, ohne einen Kratzer abzubekommen. „Menschen stehen vor den Trümmern, ihre Familien sind ausgelöscht sind.“ Genau diese Menschen sind es, von denen nach der Katastrophe aber kaum gesprochen wird. „Man redet nur von den Toten. Aber so viele Menschen sind obdachlos geworden, haben ihr gesamtes Hab und Gut verloren, ihre Angehörigen.“ So einfach weitermachen könne dort keiner mehr.
Die Infrastruktur ist kaputt, die meisten Häuser nicht mehr bewohnbar. Die Strom- und Gasversorgung ist zusammengebrochen, es gibt keine Supermärkte mehr, keine Geschäfte. Nachts fallen die Temperaturen auf bis zu minus zehn Grad Celsius. „Man steht dort vor den Trümmern und man weiß, dass sich dort auf nicht absehbare Zeit etwas verbessert.“ Jetzt müsse die internationale Hilfe richtig anrollen.
Sieben Hundeführer im Team
Für die 42 Helfer von I.S.A.R Germany ging es darum, möglichst schnell ins Katastrophengebiet zu kommen. Jede Minute zählt. Nach 72 Stunden sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit dramatisch. Sieben Hundeführer sind im Team mit dabei, die das Gebiet absuchen, die von Menschen zu Häusern geführt werden, wo sie noch Kontakt mit ihren Angehörigen hatten, auf Stimmen und Geräusche genauestens achten. „Unsere Hunde waren viel und lange im Einsatz, aber an vielen Stellen konnte keine Menschen lebend gefunden werden.“
Doch nach kurzer Zeit gelingt es, einen 16-jährigen Jungen aus den Trümmern zu retten. Eine 60-jährige Frau machen die Helfer ebenfalls aus. „Die Rettung hatte 60 Stunden gedauert“, erzählt die Tierärztin. Schicht für Schicht mit Bagger und Schlagbohrern arbeiten sich die Helfer zu der Frau vor, können einen Versorgungsschacht für sie einrichten. „Die Rettung ist eine große Teamleistung. Bei der Bergung funktioniert man nur als Team.“ Ihre Hauptaufgabe war, sich als Tierärztin um die Hunde zu kümmern. Bei der Personensuche begleitet sie die Hundeführer, beobachtet die Hunde.
Viel Leid, aber auch Hoffnung und Freude
„Das Leid ist groß, aber es gab auch so viel Hoffnung und Freude, wenn jemand lebend geborgen worden ist.“ Doch je länger das Erdbeben zurückliegt, umso größer wird die Wut und Verzweiflung. Es kommt zu Plünderungen, weshalb die Helfer ihren Einsatz aus Sicherheitsgründen zurückschrauben und nur noch auf Abruf im Einsatz sind.
„Viele Verzweifelte stehen vor den Trümmern und brüllen Namen in die zerstörten Gebäude. Aber man weiß, dass von dort keine Antwort kommen kann“, sagt Stephanie Schmitt. In ihrer Grundausbildung hat sie viel über Trümmer und deren Strukturen gelernt, weiß um die Gefahren und die Überlebenschancen darunter.
Weiter Hilfe leisten
Nach einer Woche war für Stephanie Schmitt und ihr Team der Einsatz zu Ende. Sie alle können wieder in ihr altes Leben zurück, voll mit den Eindrücken aus ihrem Einsatz in der Türkei. „Meine Gedanken sind bei den Betroffenen und mein tiefes Mitgefühl gilt den Menschen dort. Jetzt ist es wichtig, dort weiter Hilfe zu leisten und die Betroffenen zu unterstützen.“ Dass die Zahl der Todesopfer auf 50.000 steigen könnte, zweifelt sie nicht an. „Wir standen vor einem Haus, in dem waren 40 Menschen. Zwei davon konnten lebend geborgen werden. Diese Menschen sind alle noch nicht gezählt.“
Auch die 60-jährige Frau, die das Team lebend aus den Trümmern gerettet hat, gehört zu den Todesopfern. „Sie ist am Abend darauf im Krankenhaus verstorben.“ Die tagelange Bewegungslosigkeit kann zum Tod geführt haben, aber das ist nur eine Vermutung. Die Todesursache ist unklar.
Das ist I.S.A.R. Germany
Die gemeinnützige Hilfsorganisation I.S.A.R. Germany wurde 2003 gegründet. Der Name I.S.A.R. steht für „International Search-and-Rescue“ und ist ein Zusammenschluss aus Spezialisten verschiedener Hilfsorganisationen und dem Bundesverband Rettungshunde. Aufgabe ist es, internationale Hilfe nach Naturkatastrophen, Unglücksfällen und bei humanitären Katastrophen zu leisten. Mittlerweile sind rund 170 Helfer aktiv, die weltweit eingesetzt werden. Die meisten von ihnen arbeiten ehrenamtlich. Als gemeinnützige Hilfsorganisation finanziert sich I.S.A.R. Germany über Spendengelder.