Erika Koch vom Hospizverein Mühldorf im Interview
„Dem Leben mehr Sterben geben“ - Niemand sollte vor der größten Katastrophe die Augen verschließen
- VonMarkus Honervogtschließen
Mühldorf - So nah wie im November kommt das Thema Sterben und Tod nur selten. Manche möchten sich überhaupt nicht damit befassen. Dabei, glaubt Erika Koch vom Anna Hospizverein, ist es sinnvoll, über den Tod nachzudenken.
Warum sollte ich mich während des Lebens mit meinem Sterben befassen? Reicht es nicht, dass er mich am Ende trifft?
Erika Koch: Wenn mich der Tod schnell trifft und überraschend, ist es für mich natürlich nicht schlimm. Wenn wir aber, und das ist zu erwarten, von Krankheiten getroffen werden, müssen wir uns automatisch mit unserem Sterben auseinandersetzen. Wir können in dieser Situation handlungsfähiger sein, wenn wir uns vorher damit befasst haben. Denn natürlich können Dinge geschehen, die nicht schön sind. Wenn ich das aber vorher weiß, wenn ich ein Netzwerk aufbauen kann, Menschen suchen, die bei mir sind, auf die ich mich stützen kann. Dann kann mir das helfen.
Der Tod bleibt trotzdem die denkbar größte Katastrophe im Leben. Das kann niemand ändern, auch alle Vorbereitung nicht.
Koch: Es stimmt: Oft bleibt nur das Schweigen, es gibt keine Worte, die passen. Diese Katastrophe aushalten zu lernen, ist ein ganz wichtiger Teil. Nicht wegzulaufen, sondern zu bleiben. Deshalb wollen wir in der Hospizarbeit vermitteln, dass wir füreinander sorgen, dass wir uns umeinander kümmern, uns begleiten, auch in dieser wahrscheinlich schwersten Zeit des Lebens. Und dann fallen uns manchmal auch die Worte ein, die passen.
Woran liegt es, dass die Beschäftigung mit dem Tod so schwer fällt?
Koch: Weil wir leben wollen. Der Mensch kann es ganz schwer verstehen, dass das Leben endlich ist. Es ist nicht fassbar für uns. Es steckt in unserem Überlebenstrieb, dass wir uns gegen den Tod stemmen.
Was kann ich tun, um mich mit der eigenen Angst vor dem Tod zu beschäftigen?
Koch: Sterben lernen heißt leben lernen. Durch die Auseinandersetzung mit dem Tod nähern wir uns dem an: Zu lernen, im Hier und Jetzt zu leben. Das ist natürlich die höchste Lebenskunst. Es nützt uns nichts, ständig in Angst vor dem Tod zu sein. Auch ein sterbender Mensch kann nicht ständig nur an den Tod denken.
Wie ist dieses Leben im Jetzt zu erreichen?
Koch: Wir können uns vieles bewusst machen. Dazu gehört persönliche Reflexionsfähigkeit. Oder das bewusste Erleben, das war jetzt ein ganz schöner Augenblick. Einen Moment lang habe ich an nichts anderes mehr gedacht. Jetzt war ich im Flow. Wir können lernen, bewusster wahrzunehmen und zu genießen.
Manchmal scheint es so, dass Menschen den Kampf gegen Todesgedanken durch pedantisch richtige Ernährung oder übermäßig viel Sport aufnehmen wollen. Ist das eine neue Form der Verdrängung?
Koch: Bei vielen ist es eine Mischung. Es gibt Menschen, die die Angst vor dem Tod zum Beispiel durch viel Sport kompensieren oder verdrängen. Die meinen, wenn sie sich gesund ernähren, können sie den Tod zumindest weit hinausschieben. Wenn man das mit gesundem Menschenverstand angeht, kann man sehen, dass gesunde Ernährung oder Bewegung wichtig für die Lebensqualität sind. Und wenn ich darüber in einen Zustand des Flows komme, ganz im Jetzt und Hier leben zu können, ist das wunderbar. Der eine ist ein Genussmensch, der andere verliert sich, wenn er auf Berge wandern kann. Diese hohen Werte für ein gelingendes Leben sind unterschiedlich, so individuell, wie wir Menschen sind. Die Kunst ist, das parallel denken zu können: das gelingende Leben und das Sterben. Aber zu meinen, damit den Tod oder die Angst davor bekämpfen zu können, ist ein Trugschluss.
Sie sind seit 30 Jahren beruflich mit Krankheit und Tod befasst. Hat sich Ihre Einstellung zum Tod verändert?
Koch: Meine Einstellung zum Tod hat sich insofern verändert, als dass ich weiß, welches Netzwerk ich habe, was mir hilft, welche Linderungsmöglichkeiten von Leiden es gibt. Trotzdem habe ich Angst. Weniger vor dem Tod als vielmehr vor dem Sterben. Wir haben nicht in der Hand, was auf uns zukommt.
Können andere Menschen dabei überhaupt helfen?
Koch: Es geht um das Bewusstsein, dass wir Hilfe brauchen. In unserer besonders von Autonomie geprägten Gesellschaft will sich niemand von andern abhängig machen. Das ist noch einmal ein extremer Entwicklungsschritt. Wir kommen aus einer extremen Abhängigkeit als Säugling und gehen wahrscheinlich auch über eine gewisse Abhängigkeit zum Sterben. Das gehört zum Menschsein, wir sind bis in den Tod gesellige Wesen. Das heißt auch: Wir müssen uns beim Sterben umeinander kümmern.
Inwiefern gehört der Anna Hospizverein zu diesem Sich-umeinander-Kümmern?
Koch: In der Hospizbegleitung des Anna Hospizvereins steht das Zwischenmenschliche ganz stark im Vordergrund. Denn die Beziehung zwischen den Menschen trägt das Ganze.
Gehen Sie auch auf Menschen weit vor der Zeit des Sterbens und Todes zu?
Koch: Bildung ist wichtig, angefangen beim Kurs „Letzte Hilfe“. Wir wollen so noch besser an die Menschen herankommen. Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es? Was passiert, wenn sich ein Mensch auf den Weg zum Sterben macht? Woran erkennt man das? Wie ist der Umgang mit der eigenen Trauer oder mit Trauernden? Ich bin überzeugt, dass es uns einen Wert im Leben gibt, wenn wir uns mit dem Tod beschäftigen.