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Heilpraktikerin/Psychotherapie Petra M. Salfer im Interview

Lehre aus der Corona-Pandemie: Wegsperren von Kindern ist nicht das Gelbe vom Ei

Mühldorf am Inn: Petra Salfer ist Heilpraktikerin Psychotherapie und betreibt eine Praxis.
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Die Mühldorferin Petra M. Salfer ist Heilpraktikerin Psychotherapie. Ihre Praxiserfahrungen haben sich im Zuge der Pandemie verändert.
  • Nicole Petzi
    VonNicole Petzi
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Die Kinder- und Jugendpsychiatrie am InnKlinikum ist seit Pandemiebeginn an ihrer Grenze, monatelange Wartezeiten sind an der Tagesordnung. Die Psychotherapeutin Petra M. Salfer gibt auch der Politik eine Mitschuld.

Mühldorf - Nicht nur am Zentrum für Kinder und Jugendliche Inn-Salzach am InnKlinikum Altötting-Mühldorf ist seit Pandemiebeginn Land unter; mehr Patienten mit neuen Symptomschwerpunkten sorgen für ausgereizte Kapazitäten sowohl in der Ambulanz, aber auch im stationären Betrieb. Auch im Praxisalltag der Heilpraktikerin/Psychotherapie Petra Salfer hat sich - nicht nur mit Blick auf ihre erwachsenen Patienten, sondern auch verstärkt Kinder und Jugendliche betreffend - einiges verändert. Mit welchen Krankheiten sie nun zu tun hat und wie man betroffenen Eltern helfen könnte, erzählt Salfer, die auch langjährige Erfahrung Kriseninterventionshelferin beim BRK gesammelt hat, im Interview mit den OVB-Heimatzeitungen:

Frau Salfer, wie geht es den Menschen eigentlich - unabhängig von der Krankheit selbst - seit Pandemie-Beginn?

Petra M. Salfer: Wir sehen eine neue Qualität seelischer Erkrankungen. Mit den Lockdowns sind bestimmte Formen verstärkt worden, beispielsweise Angststörungen oder Existenzängste. Und nun haben wir auch noch eine Energiekrise, die zusätzliche Ängste schürt.

Hat sich diese neue Realität auch praktisch in Ihrer Arbeit abgezeichnet?

Salfer: Auf jeden Fall. Gerade Corona hat die Menschen verstärkt auf sich zurückgeworfen. Der Lebensentwurf eines jeden wird hinterfragt. Ich habe jetzt vermehrt Menschen in der Praxis, die erneut auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind, weil der alte nicht mehr greifbar ist. „Ich bin gut verheiratet, ich funktioniere, ich gehe in die Arbeit, alles passt.“ Und plötzlich, weil man sich nicht so sehr im Außen bewegen konnte, wackelt dieses Selbstbild.

Man sagt, vor allem die Kinder und Jugendlichen haben gelitten. Inwiefern?

Salfer: Ich habe verstärkt Anfragen von Eltern, deren Kinder Angststörungen oder auch Schlaflosigkeit entwickelt haben. Manche werden regelmäßig von Albträumen geplagt. Das ist dem geschuldet, dass sie geraume Zeit sehr isoliert waren. Gerade für einen Heranwachsenden ist es nicht so einfach, sich in der Isolation zurechtzufinden. 

Corona als Brandbeschleuniger: Während der Pandemie nahm die Zahl von Depressionen und anderen Störungen bei Kindern und Jugendlichen zu.

Waren daran nur die Lockdowns schuld?

Salfer: Nein, nicht nur. Es geht darum, dass den Kindern generell die sozialen Kontakte und die Möglichkeit zur Entfaltung gefehlt haben. Auch in der Schule war es schwierig, intensive Kontakte mit Mitschülern waren einfach nicht erwünscht. Meines Erachtens hat die Unbeschwertheit der Kindheit in den letzten zwei Jahren stark gelitten. Und das ist gar nicht so einfach zu kompensieren. Es war ja zum Teil so, dass Kinder Angst hatten, ihre Eltern oder Großeltern anzustecken, wenn sie in der Schule keinen Abstand hielten. Dadurch haben sie unbewusst viel Verantwortung übernommen, um die Erwachsenen zu schützen. 

Dann müsste es doch alle Familien gleichsam schwer getroffen haben ...

Salfer: In sozial schwächeren Familien, wo man sich oftmals weniger gut um die Kinder kümmern konnte, waren und sind die Schwierigkeiten größer. Generell würde ich sagen, haben die Kinder und Jugendlichen im Schnitt ein Defizit von mindestens einem Jahr dadurch aufzuholen.

Wie zeigen sich aktuell eigentlich schwere seelische Störungen bei den Jüngeren?

Salfer: Zum einen zeigt es sich in Form von Essstörungen wie beispielsweise Magersucht oder Heißhungerattacken. Auch Adipositas nimmt zu. Zum anderen zeigt es sich durch Verhaltensveränderungen, beispielsweise durch aggressiveres Verhalten. Das passiert Kindern und Jugendlichen, die sich schwer artikulieren können. 

Wenn sich Kinder selbst das Leben nehmen, wird es besonders tragisch. Hat sich auch hier die Pandemie ausgewirkt?

Salfer: Das ist wirklich schwer zu sagen. Mitte des Jahres 2022 gab es eine Studie der Kinderintensivstation Essen, die zeigt, wonach die Suizid-Versuche bei Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren tatsächlich zugenommen haben. Interessanterweise wurde wenig später eine weitere Studie publiziert, die keinen signifikanten Anstieg belegen konnte. Fakt ist allerdings, dass Kinder in den Corona-Jahren stärker belastet waren als in den Jahren vor der Pandemie. Gar keine Frage.

Drei Monate Wartezeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie am InnKlinikum

Die Pandemie hat sich laut Aussage von Chefärztin Dr. med. Gertraud Fridgen am Zentrum für Kinder und Jugendliche Inn-Salzach am InnKlinikum Altötting-Mühldorf wie folgt ausgewirkt: „Sowohl die psychiatrische Institutsambulanz als auch die Tagesklinik als auch die psychosomatische Abteilung sind praktisch durchgehend seit der Pandemie und sicher noch bis auf Weiteres voll ausgelastet. Für alle drei Bereiche gibt es Wartelisten, die ständig aktualisiert werden. Die durchschnittliche Wartezeit liegt bei etwa drei Monaten.“

Der häufigste Vorstellungsgrund habe sich verschoben auf die Symptomatik von Depression und/oder Ängste; hier sei ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen, so die erfahrene Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Ebenfalls haben die Essstörungen zugenommen sowie Somatisierungsstörungen [das bedeutet verschiedene anhaltende körperliche Beschwerden] mit daraus resultierenden Fehlzeiten in Schule und Ausbildung.

Was kann man betroffenen Eltern auffälliger Kinder raten?

Salfer: Zunächst einmal beobachten. War ein Kind sehr lebensfroh, hat sich gerne mitgeteilt und geht plötzlich in den Rückzug beziehungsweise sendet keine Signale mehr nach Außen, sollte man Hilfestellung geben. Die Erwachsenen müssen das Kind ernst nehmen und sich mit ihm unterhalten, ihm auf jeden Fall vermitteln, dass es akzeptiert wird. Nicht bei jeder kleinen Verhaltensveränderung muss man direkt zum Kinderpsychiater gehen, jedoch rate ich dringend, bei massiven Störungen oder anhaltenden negativen Verhaltensänderungen diesen aufzusuchen. Hier rate ich lieber zur Vorsicht, generell gilt aber, Kinder sind resilienter, als wir denken. Sie haben Ellbogen und können sich damit auch behaupten.

Wird Ihrer Meinung nach das Thema Kinderpsyche und Corona in der Öffentlichkeit angemessen angepackt?

Salfer: Ich würde mir in der Tat wünschen, dass das Thema etwas transparenter behandelt wird. Dann und wann erscheinen Artikel, dass Kinderpsychiatrien überlaufen sind, dass kein Platz da ist. Beispielsweise wäre ein Leitfaden für Eltern hilfreich, weil manche in der Luft hängen und nicht wissen, wohin sie sich wenden können. Was die Politik angeht, wäre es richtig und wichtig, dass die ein oder andere Maßnahme als überzogen erklärt würde. Ich würde mir persönlich wünschen, dass die Politiker daraus lernen, dass ein Wegsperren der Kinder aus der Gesellschaft nicht das Gelbe vom Ei ist.

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