David gegen Goliath
Kampf um Pflegegrad: 72-Jährige aus dem Landkreis Mühldorf klagt gegen ihre Krankenkasse
- VonHarald Schwarzschließen
Eine 72-jährige Rentnerin ist verzweifelt. Sie kämpft seit Jahren für einen Pflegegrad, doch ihre Krankenkasse lehnt ab. Jetzt erhofft sie sich Hilfe vom VdK.
Landkreis - Sabine H. (Name geändert) ist verzweifelt. Sie sitzt in ihrem Sessel im Wohnzimmer und kämpft mit den Tränen. Sie hat Kissen um sich herum gelegt, um sich zu stützen. Fortbewegen kann sie sich nur mit einer Krücke. Die 72-Jährige aus dem nördlichen Landkreis wiegt nur noch 45 Kilogramm und weiß nicht mehr weiter.
Seit Jahren kämpft sie darum, dass sie einen Pflegegrad anerkannt bekommt; doch bisher vergebens. Die Krankenkasse, bei der ihr Mann, der vor zehn Jahren gestorben ist, fast 38 Jahre gearbeitet hatte, sieht keinen Grund für eine Anerkennung. Schließlich hat der Medizinische Dienst Sabine H. bereits mehrmals begutachtet, ist aber immer zu dem Ergebnis gekommen, dass sie keinen Anspruch auf einen Pflegegrad hat.
Die fünf Pflegegrade
Die Pflegegrade regeln mit Abstufungen, welche Pflegeleistungen pflegebedürftige Menschen von der Pflegeversicherung erhalten. Zunehmendes Alter, Krankheit oder körperliche beziehungsweise geistige Einschränkungen können dazu führen, dass Menschen in ihrem Alltag auf Hilfe angewiesen sind. Oftmals werden die pflegerischen Aufgaben zunächst von Angehörigen übernommen. Je stärker eine Krankheit oder Behinderung die Alltagskompetenz beeinträchtigt, desto mehr Unterstützung wird benötigt. Ein ambulanter Pflegedienst, eine Tagespflege oder eine stationäre Betreuungseinrichtung entlasten die Angehörigen bei der Pflege, kosten aber zum Teil sehr viel Geld.
Bis Ende 2016 wurde die Bereitstellung von Leistungen aus der Pflegeversicherung durch die Pflegestufen geregelt. Mit einem neuen Pflegegesetz sind zum Jahresbeginn 2017 anstelle der Pflegestufen nun fünf Pflegegrade in Kraft getreten. Von dem individuell vergebenen Pflegegrad hängt die Höhe der Pflegeleistungen ab.
Der Pflegegrad eins wird beispielsweise an Patienten vergeben, die nur unter leichten Einschränkungen leiden, aber dennoch beispielsweise wohnumfeldverbessernde Maßnahmen benötigen oder im Alltag in geringfügigem Maße auf Unterstützung angewiesen sind. Beim Pflegegrad eins ist ein Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro monatlich möglich.
Zahlreiche Krankheiten und Operationen
Dabei kann die deprimierte Frau seit 2017 nicht mehr arbeiten und wird von diversen Erkrankungen geplagt, die sie alle belegen kann. Die Liste reicht von Depressionen, Diabetes und Schwindel über Osteoporose, Fibromyalgie und Asthma. Zudem hat sie zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen müssen.
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Doch das alles reichte dem Medizinischen Dienst nicht, ärgert sie sich. Sabine H. fühlte sich von einem Gutachter des Medizinischen Dienstes eher verhöhnt. Sie könne ja noch Zeitung lesen und habe sich einen großen Flachbildschirm geleistet, hatte er ihr zum Abschluss des Besuches entgegengehalten und kurze Zeit später kam dann der negative Bescheid.
Der nächste Gutachter kam zu dem gleichen Ergebnis. Auch er vermerkte in seinem Gutachten, dass sie noch Zeitung lesen könne und sich einen großen Flachbildschirm gekauft habe. „Ja sind die mir denn neidig“, fragte sich Sabine H. und ist den Tränen nahe. Die Ablehnung hat sie so schockiert, dass ihr Diabetes entgleiste, sie von Weinkrämpfen geschüttelt wurde und sie sogar einen Darmverschluss bekam. „Alle meine Körperfunktionen waren gestört“, erinnert sie sich mit Schrecken daran.
Gesundheitliche Probleme sind nicht von Dauer
Die Krankenkasse begründete damals die Ablehnung eines Pflegegrades damit, dass Sabine H. weitgehend selbstständig leben kann und sowohl die psychischen Auffälligkeiten als auch die Gesundheitsprobleme nicht in der entsprechenden Ausprägung auf Dauer vorliegen.
Dabei muss sie von einer schmalen Rente leben, zahlreiche Medikamente selbst bezahlen und sich eine Putzfrau leisten, da sie ihr Haus nicht mehr selbst sauberhalten kann. Die Haushaltshilfe fährt sie auch zu Ärzten und macht Besorgungen, da Sabine H. nicht mehr selber Auto fahren kann.
VdK Bayern soll jetzt helfen
Hilfe erhofft sich Sabine H. jetzt vom VdK, bei dem sie seit 30 Jahren Mitglied ist. Sebastian Heise, stellvertretender Pressesprecher des VdK Bayern, sagt, dass der Verband jedes Jahr zahlreiche Mitglieder vor dem Sozialgericht in Sachen Rente, Schwerbehinderung oder Pflege vertreten muss. Er merkt zudem an, dass das Sozialgericht häufig einen unabhängigen Gutachter zu Rate zieht. Dieser werde von der Staatskasse bezahlt, während der Medizinische Dienst von den Krankenkassen finanziert werde.
Erkrankung und Medikation sind nicht alleine entscheidend
Robert Otto, der VdK-Bezirksgeschäftsführer, bezeichnet Sabine H. als Grenzfall. Natürlich sehe man beim VdK die zahlreichen Krankheiten von Sabine H. Die seien auch bei der Pflegekasse unstrittig. Robert Otto weiß aber auch, dass die Erkrankungen und die Medikation nicht alleine entscheidend sind, ob sie einen Pflegegrad bekommen wird. Der Gutachter schaue eben auch darauf, wie groß der Hilfebedarf von Sabine H. ist und wie selbstständig sie in ihrer Lebensführung ist. Dennoch bemühe man sich, Sabine H. so gut es geht zu vertreten. Ziel sei es, ein neues Gutachten zu bekommen, das vom Sozialgericht in Auftrag gegeben wird. Hier werden in der Regel Allgemeinmediziner oder Pflegefachkräfte mit der entsprechenden Zusatzausbildung beauftragt. „Wir können nichts versprechen“, meint Robert Otto abschließend, „aber wir werden Sabine H. auf ihrem Weg begleiten“, verspricht er.