MEINUNG
Räumung von Lützerath: Das grüne Dilemma
- VonMike Schierschließen
Es ist eine Zeitenwende – mal wieder. Jahrelang kämpften die Grünen Seite an Seite mit den Aktivisten gegen den Braunkohletagebau Garzweiler II. Jetzt ist plötzlich alles anders.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seine NRW-Kollegin Mona Neubaur (beide Grüne) haben mit dem Energieriesen RWE die Vereinbarung getroffen, dass das von seinen Bewohnern längst verlassene Örtchen Lützerath wegen der darunter liegenden Kohle geräumt wird. Durchsetzen muss dies nun der Polizeipräsident Dirk Weinspach, ein Grünen-Mitglied.
Zu erwarten sind hässliche Szenen, die das Selbstverständnis der Partei gewaltig auf die Probe stellen dürften. Luisa Neubauer von „Fridays for Future“ und – natürlich – Grünen-Mitglied, zerriss die Realo-Argumentation in der Luft: „Das, was von der Grünen-Spitze als staatsmännischer und vor allem ultra pragmatischer Coup aufgesetzt war, entpuppt sich in diesen Tagen als undurchdachte Bulldozer-Politik.“ Ganz Unrecht hat sie nicht: Kohle ist der schlechteste aller Energieträger. Nur: Die Aktivisten lehnen auch alle anderen Ideen ab, wie man die Energiekrise kurzfristig lösen könnte – von Gas bis zu längeren Atomlaufzeiten. Eine Regierung darf so nicht denken.
Die Episode zeigt, wie schwierig es für Habeck und Co. ist, den Forderungen von FDP oder Union nachzugeben. Und doch sollten sie es tun. Der Ausbau der Erneuerbaren dauert noch – ein Fehler der Vorgängerregierungen, im Bund wie auf Länderebene. Die Grünen tragen daran übrigens die geringste Schuld.