Meinung
Europa versucht das Asyl-Wendchen
- VonGeorg Anastasiadisschließen
Nein, die vom deutschen Städtetagspräsidenten geforderte „große Wende“ in der Asylpolitik hat der EU-Gipfel nicht gebracht – aber immerhin ein Wendchen hin zu einer etwas nüchterneren Herangehensweise.
Erstens: Die Regierungschefs haben ihren fruchtlosen Streit über Verteilungsquoten für Migranten still begraben – zu viele Länder waren und sind nicht bereit, Deutschland jene Flüchtlinge abzunehmen, die sich zum Teil auch wegen irreführender Signale aus Berlin auf den Weg gemacht haben.
Und zweitens: Über die (von der Ampel strikt abgelehnte) Finanzierung von Grenzzäunen mit EU-Mitteln schweigt sich das gemeinsame Kommunique der Regierungschefs zwar aus – doch haben die Befürworter durchgesetzt, dass in einem „Pilotprojekt“ an der türkisch-bulgarischen Grenze mit EU-Geld bezahlte „Fahrzeuge, Kameras und Wachtürme“ zum Einsatz kommen sollen.
Das ist ein Kompromisspaket ganz nach Brüsseler Art, um das EU-Chefin von der Leyen wie ein Schleifchen stolz den Satz band, die EU werde „handeln, um unsere Außengrenzen zu stärken und irreguläre Migration zu verhindern“. Der Rest ist Ratlosigkeit. Auch darüber, wie es gelingen kann, die Herkunftsländer zur Rücknahme abgelehnter Asylbewerber zu bewegen. 924 000 kamen allein 2022, das waren um die Hälfte mehr als im Vorjahr. Bisher tritt nur jeder fünfte abgelehnte Migrant die Heimreise wieder an. Jetzt will die EU es mit mehr Geld und Druck auf die Regierungen der Heimatländer versuchen.
Die gute Nachricht: Europa hat keine Lust mehr auf die ideologischen Schlachten, die man führte, als in Berlin noch die Gralshüterin der Moral das Zepter schwang. Millimeterweise beugt sich der Kontinent der Einsicht, dass es ohne klare Signale an den Grenzen nicht geht. Und dass man nicht den Schleusern die Entscheidung darüber überlassen darf, wer es nach Europa schafft und wer nicht.