MEINUNG
Das Ende der Ära Johnson: Konservative ohne Kompass
- VonMike Schierschließen
Am Schluss grenzte es an Realitätsverlust: Boris Johnson hat sich so oft entgegen aller Unkenrufe durchgesetzt – erst mit seinem Brexit, später dann bei Wiederwahl und Misstrauensabstimmung –, dass er offenbar auch diesmal glaubte, den Sturm rund um die Downing Street zu überstehen.
Für diesen unorthodoxen Premier war eine gesunde Portion Chaos ja immer die Arbeitsgrundlage. Regeln, juristische wie politische, galten nur für andere. Doch seit der Nacht zu Donnerstag nahm dieses Chaos groteske Züge an. Nun tritt er bald ab – also vielleicht.
Man muss kein Fan von Olaf Scholz oder Angela Merkel sein – aber im Kontrast zu Johnsons Amtszeit wirkt das deutsche Regierungshandeln wohltuend seriös. Die Probleme der Zeit – von Krieg über Klima bis Inflation – sind einfach zu komplex, um ihnen auf Dauer mit launigen Sprüchen zu begegnen. Zwar sollte man Johnsons Intellekt keinesfalls unterschätzen, aber seine ewigen Skandälchen waren dem schwierigen Amt einfach nicht angemessen. Wie er sich am Schluss den demokratischen Realitäten verweigerte, nahm fast Trumpsche Züge an.
Johnson hinterlässt einen Trümmerhaufen. Die Tories haben ihren moralischen Kompass verloren, nicht nur wegen Partys im Lockdown, weil Konservative im Parlament Pornos schauen oder im Suff andere Männer begrapschen. Intern sind sie komplett zerstritten, bekämpfen sich mit harten Bandagen. Der Nachfolger müsste also Land und Partei zusammenführen und Regeln wieder Geltung verschaffen. Da drängt sich bislang niemand auf.